Zahl der Selbsttötungen rückläufig

Obwohl die Suizid-Raten in Deutschland stetig sinken, gibt es immer noch mehr Menschen, die sich das Leben nehmen, als Verkehrstote. Der Welt-Suizid-Präventionstag der Weltgesundheitsorganisation will die Zahl der Selbstmörder weiter senken

VON JULIANE GRINGER

Alle 47 Minuten nimmt sich in Deutschland ein Mensch selbst das Leben. Knapp 11.200 waren es im Jahr 2002. Zum heutigen „Welt-Suizid-Präventionstag“ forderte die Weltgesundheitsorganisation WHO mehr Vorbeugung und eine bessere Behandlung psychisch Kranker.

Man kann Selbsttötungen vorbeugen. Davon ist Armin Schmidtke, Vorsitzender der Initiativgruppe „Nationales Suizid-Präventionsprogramm“, fest überzeugt. Risikogruppen seien psychisch Kranke, gerade depressive Menschen, Senioren, chronisch Kranke ohne Heilungsaussicht, Drogenabhängige sowie Inhaftierte. „Diese Menschen müssen kontinuierlich behandelt werden“, sagte Schmidtke, „psychische Erkrankungen müssen erkannt werden.“ Die soziale Umwelt müsse aufmerksam sein und die Lebensmüden ansprechen. Die Angehörigen spielten bei der Vermeidung von Suiziden daher eine große Rolle – sie seien aber selbst in Gefahr. Untersuchungen der WHO zeigen, dass jeder Suizid sechs weitere Personen in ein schweres seelisches Tief stürzt.

Insgesamt sinken die Suizid-zahlen seit Ende der 70er-Jahre stetig. Werner Felber, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, macht dafür die verbesserte Behandlung psychischer Erkrankungen verantwortlich – und, noch mehr, „die Entgiftung der Stadtgase in den Haushalten“. Seitdem die Gasversorgung der Haushalte zurückgegangen ist bzw. auf ungiftiges Erdgas umgestellt wurde, ist eine gerade bei Frauen weit verbreitete Form der Selbsttötung völlig verschwunden. Dieser Faktor, schätzt Felber, dürfte etwa 60 Prozent des Rückgangs ausmachen. Zudem seien bestimmte Arzneimittel vom Markt verschwunden. „Man darf nicht unterschätzen, welch großen Einfluss dieses Wegfallen von Methoden auf die Zahl der Suizide hat“, betont Felber. Denn es sei oft ein Kurzschlussimpuls, der zur Selbsttötung führt.

Der Impuls könne zurückgedrängt werden, indem man den Zugang zu Waffen oder Medikamenten in größeren Mengen erschwere. Die Bundesapothekenkammer etwa setzt sich dafür ein, Tabletten nur noch in Durchdrückpackungen zu verkaufen – schon das erschwere es, dass Suizidgefährdete schnell und viele Tabletten zu sich nähmen.

Gleichzeitig verweist Felber auch auf die wahrscheinlich hohe Dunkelziffer an Suiziden. „Viele Fälle verschwinden als ungeklärt in den Akten“, so der Experte. Vor allem bei Auto- und Wasserunfällen, Drogenmissbrauch oder wenn beispielsweise alte Menschen lebensnotwendige Medikamente nicht einnehmen, lasse sich schwer aufklären, ob das Opfer sich selbst tötete.

Einen Zusammenhang zwischen hoher Arbeitslosigkeit und hohen Suizidraten gibt es laut Felber heute nicht mehr. „In den 30er-Jahren stiegen die Zahlen stark, als viele Menschen mit der Weltwirtschaftskrise arbeitslos wurden“, sagt er. „Damals bedeutete das aber auch noch den kompletten Existenzverlust.“

In den letzten Jahren stark erhöht hat sich der Anteil alter Menschen an den Suiziden. In jedem zweiten Fall tötete sich eine Frau über 60 Jahren selbst. Auch gefährdet, vor allem von Suizidversuchen, sind Jugendliche. Die höchste Zahl von Versuchen findet man in der Gruppe der 15- bis 19-jährigen Frauen. Insgesamt töten sich jährlich viermal so viele Menschen, wie es Todesopfer bei Verkehrsunfällen gibt.