Rummel um die Residenzpflicht

Der gebürtige Nigerianer Sunny O. kämpft vor dem Bremer Amtsgericht für die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen in Deutschland. In der Verhandlung rasseln Legalisten und politische Aktivisten heftig zusammen

aus BremenMarkus Jox

Die junge Staatsanwältin ist bass erstaunt: „Ich dachte, dass sei so ein Nullachtfuffzehn-Strafbefehl, ich konnte doch nicht wissen, dass das hier so politisch wird“, sagt sie unmittelbar vor der Verhandlung gegen Sunny O. und rollt mit den Augen – O. hat Einspruch eingelegt gegen einen Strafbefehl, nach dem er 30 Tagessätze zu 7,50 Euro hätte berappen müssen. Zur Verhandlung kommt O. nicht alleine ins Bremer Amtsgericht. Er hat dafür gesorgt, dass sein Prozess öffentlich bekannt wird, und er hat viele Zuschauer mitgebracht: Gegen Sunny O. wird verhandelt wegen Verletzung seiner Aufenthaltsbeschränkung als Flüchtling in Deutschland.

Noch bevor der Angeklagte den Saal zum Prozessauftakt letzte Woche betreten hatte, gibt Richter Wolfgang Rathke ein erstes, informelles Urteil ab: „Ist alles grundgesetzgetreu, hat das Bundesverfassungsgericht schon alles entschieden“, zischt er in Richtung Staatsanwältin. Das Schlimmste, was passieren könne, sei, „dass man sich da einen Überzeugungstäter heranzüchtet“. Sunny O. ist Mitglied des Flüchtlingsforums „The VOICE“. Der 38-Jährige, in Nigeria geboren und seit 2001 mit einer Deutschen verheiratet, ist als politischer Flüchtling in Deutschland anerkannt, hat eine gültige Aufenthaltserlaubnis. Ihm wird vorgeworfen, im Jahr 2000 seiner auf den Landkreis Wolfsburg beschränkten „Aufenthaltsbeschränkung zuwidergehandelt“, also gegen die „Residenzpflicht“ verstoßen zu haben.

„In bürgerlicher Kleidung“ habe man „den O.“ im Interregio-Zug angetroffen, heißt es im Polizeiprotokoll. Sunny O. bestreitet das nicht. Mehrere Male habe er Wolfsburg verlassen, die zuständige Ausländerbehörde habe ihm die Genehmigung zu Reisen durch Deutschland mal erteilt und mal verweigert. Einladungen zu politischen Meetings, Flüchtlingskongressen und Demonstrationen wollte der engagierte Kämpfer für die Rechte von Flüchtlingen dennoch nicht ausschlagen. „Ich entschloss mich zu zivilem Unterhorsam“, erinnert sich O., „um diesem unmenschlichen und erniedrigenden Gesetz zu trotzen, welches eine schwerwiegende Verletzung unserer Menschenrechte und eine klare Diskriminierung von Flüchtlingen darstellt.“

Seine Anwältin Gabriele Heineke pocht darauf, dass die Genfer Flüchtlingskonvention Menschen wie Sunny O. Freizügigkeit in dem Staat gewährt, in dem sie Zuflucht gefunden haben. Diese Rechte hätten ihm vom ersten Tag an zugestanden, auch wenn sein Asylverfahren erst später positiv abgeschlossen worden sei – die Freizügigkeit müsse rückwirkend gelten. Richter Rathke indes lässt sich auf keine Diskussion ein. Die Freizügigkeit finde „ihre Grenzen in der Schutzbedürftigkeit des Staats, der über den Asylantrag zu entscheiden hat“, trägt er vor. Das Selbstverständnis der Freizügigkeit werde bei Flüchtlingen zu einem kriminellen Akt umdefiniert, kontert die Verteidigerin schneidend, sie sieht eine „politischen Zielen geschuldete planvolle Ausgrenzung von Menschen aus anderen Ländern“. Das Problem sei, meint sie zum Richter, „dass Sie die Verteidigung als Feind betrachten“. Noch sei der Punkt nicht erreicht, dass sich der Eindruck aufdränge, er habe bereits ein Urteil im Kopf und wolle aufgrund seiner politischen Einstellung den Prozess schnell über die Bühne bringen.

Der Prozess wird heute fortgesetzt: 13.45 Uhr, Amtsgericht Bremen