Ehemaliges Internierungslager in Osnabrück: Kampf um Baracke 35

In Osnabrück steht das ehemalige Offizierslager, in dem während des Zweiten Weltkriegs Serbische Offiziere interniert waren, zum Verkauf. Eine Initiative will eine Gedenkstätte errichten.

Steht zum Verkauf: das Geländer der ehemaligen Armeekaserne in Osnabrück. Bild: Frank Keil

OSNABRÜCK taz | Es muss ein merkwürdiges Bild gewesen sein: Männer in fremden, vermutlich schon etwas zerschlissenen Uniformen schieben einen Leichenkarren durch die Straßen, bewacht von Wehrmachtssoldaten.

Es geht vom Osnabrücker Stadtteil Atter im Nordwesten einmal quer durch die Stadt bis zum Friedhof Magdalenenstraße im Südosten, in aller Öffentlichkeit. Es sind serbische Offiziere jüdischen Glaubens, die im Offizierslager "Oflag VI C" in Atter interniert sind und mitten in Osnabrück bis 1944 nach jüdischem Ritus ihre Toten beerdigen.

Während in Hamburg, Berlin, Frankfurt oder München die Deportationszüge unaufhörlich in Richtung der Vernichtungslager Treblinka, Majdanek und Auschwitz rollen.

Das Lagergelände, auf dem ab 1935 zunächst Armeekasernen erbaut werden, wird mit Beginn des Zweiten Weltkrieges in ein Kriegsgefangenenlager umgewandelt. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf das damalige Königreich Serbien im April 1941 werden hier vorrangig serbische Offiziere interniert.

Von den insgesamt 5.000 Offizieren sind rund 400 Anhänger der kommunistisch orientierten Volksbefreiungsbewegung, die sich gegen die Deutschen gegründet hat; gut 450 weitere Offiziere sind jüdischen Glaubens.

Beide Gruppen werden in einem extra Teil des Lagers untergebracht, doch werden die Regeln der Genfer Konvention für Kriegsgefangene einigermaßen eingehalten. Die jüdischen Offiziere können fast unbehelligt den Schabbat und die jüdischen Feiertage feiern; es gibt eine Gebetsbaracke. Als Militärgeistlicher arbeitet Zvi Asari, der spätere Landesrabbiner von Niedersachsen.

Aktuell steht das Gelände, auf dem all das sich ereignet hat zum Verkauf. Verkäufer ist die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA). Gedacht ist an eine Mischnutzung von Gewerbe und Wohnungen. Wie man so hört, ist ein Investor daran interessiert, der in der Solarbranche tätig ist.

Zugleich hat sich in Osnabrück, dass sich ganz offiziell "Friedensstadt" nennt, eine Initiative gegründet, die dem Verkauf des Geländes nicht tatenlos zusehen will: der Verein "Antikriegsbaracke Atter-Osnabrück e.V.".

Er strebt an, die Geschichte des Lagers zu erforschen und an das zu erinnern, was damals geschehen ist. "Wir wissen noch nicht allzu viel", sagt Vereinsmitglied Peter Niebaum: "Aber was wir wissen, sagt uns, dass wir uns Zeit lassen müssen, mit dem Verkauf und der Umgestaltung."

Dabei ist das Anliegen der Initiative bescheiden: Keineswegs soll das gesamte 38 Hektar große Areal mit seinen knapp 40 Baracken, Fahrzeughallen und Verwaltungsgebäuden in Gänze erhalten und in eine Gedenkstätte umgewandelt werden. Man wäre mit der Baracke Nr. 35, in dem einst Teile der Wachmannschaften untergebracht waren, schon zufrieden.

Dabei kann sich die Initiative generell auf die Zustimmung des örtlichen Denkmalschutzamtes stützen: "Alle zur Ausweisung anstehenden Bauten, die im Kern aus der Zeit des 2. Weltkrieges stammen, besitzen einen geschichtlichen Zeugniswert für die Vorgänge dieser Zeit", heißt es in einem Gutachten des Denkmalschutzamtes Osnabrück. Gut 20 Baracken werden als schutzwürdig eingestuft.

Die BIMA hat auf ihre Weise reagiert und der Initiative ein erstes Angebot unterbreitet: Ja, sie könnte die Baracke mit der Nummer 35 gerne haben - gegen die Summe von 49.000 Euro. Plus das, was es kosten würde, einen separaten Zugang jenseits des bisherigen Lagereinganges zu errichten und wieder Strom und Wasser anzuschließen.

Dabei ist nicht nur die Initiative an der Baracke 35 interessiert, um hier neben historischer Forschung auch eine Art Seminarhaus zu betreiben. Einsteigen würden dabei auch die Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. und die Erich Maria Remarque-Gesellschaft e.V. Mit dabei wäre auch die serbisch-orthodoxe Gemeinde Osnabrücks.

Und damit hat es wiederum folgendes Bewandtnis: Als im Mai 1945 das Lager aufgelöst wurde, war den Königstreuen unter den serbischen Offizieren klar, dass sie im neu gegründeten und vor allem kommunistisch regierten Jugoslawien des Marschalls Josip Broz Tito nicht unbedingt willkommen sein dürften. Und sie legten ihre serbische Staatsbürgerschaft nieder, nahmen die deutsche an - um zu bleiben.

1962 gründeten sie ganz in der Nähe eine Kirche. Die Kirche hat in ihrer Bauart eine auffällige Ähnlichkeit mit der mittelalterlichen Kirche des Klosters Kalenic, das sich südlich von dem Ort Kragujevac befindet. Hier verübte die deutsche Wehrmacht als sogenannte Vergeltungsmaßnahme am 21. Oktober 1941 ein Massaker an der örtlichen Bevölkerung: 2.323 Bewohner wurden erschossen.

Der Prozess gegen die damals Tätigen ruht seit Jahren. Der Sprecher der Initiative, Helmut Schmitz, sagt: "Es gibt so viele serbisch-orthodoxe Kirchen - warum hat man sich damals ausgerechnet an dieser Kirche orientiert?" Auch wenn das an sich noch keinerlei Beweis ist. Und so sagt er: "Wir müssen noch viel forschen, um uns nicht in Spekulationen zu verlieren."

Und noch eine weitere, wichtige Spur gibt es, die zu verfolgen sich lohnen würde: Denn als SS-Chef Heinrich Himmler im Oktober 1944 alle Kriegsgefangenenlager, die bis dahin der Wehrmacht unterstehen, seinem Zuständigkeitsbereich zuschlagen kann, schickt die Lagerverwaltung die jüdischen und auch kommunistischen Offiziere aus Osnabrück auf eine lange Reise.

Es geht erst nach Straßburg, dann nach Schleswig-Holstein, weiter Richtung Oder, wieder zurück nach Osnabrück, bis die Offiziere schließlich Mitte April in dem Ort Hodenhagen an der Aller nahe Bergen-Belsen von der britischen Armee befreit werden können.

"Die Männer wurden ja die ganze Zeit von Wachmannschaften begleitet, es wurden so jede Menge Kräfte gebunden und das, wo doch an der Front zuletzt jeder Mann gebraucht wurde, das wundert einfach", sagt Schmitz. Hat es hier jemanden gegeben, der mitten in den letzten Kriegswirren dafür gesorgt hat, dass die meisten der Offiziere überleben konnten?

Derzeit sieht es nicht so schlecht aus, dass Niebaum, Schmitz und ihre Mitstreiter ihren Plan realisieren können - auch wenn die jüdische Gemeinde Osnabrück vorerst zwar das Engagement der Initiative lobt, aber eher für eine zentrale Gedenkstätte jüdischen Leidens in Bergen Belsen oder innerhalb der Gedenkstätte Augustaschacht bei Osnabrück plädiert.

Interessiert zeigt sich dagegen die Stiftung der niedersächsischen Gedenkstätten. Deren Leiter Habbo Knoch sagt: "Grundsätzlich sollte man bei einer solchen historischen Substanz, die zum Kontext von NS-Verbrechen gehört, mit Zeit eine fachbezogene Diskussion führen - auch im Vergleich zu anderen Orten der NS-Verbrechen in Niedersachsen und den bisherigen Gedenkstätten."

Die Stiftung würde dafür gerne eine Plattform bieten. Auch von der Stadt Osnabrück aus, die sich derzeit offiziell noch darauf zurückzieht, dass es bei der Fläche des ehemaligen Lagers um Eigentum des Bundes und nicht der Stadt handelt und die die Ausweisung ihres eigenen Denkmalschutzamtes abgewiesen hat, gibt es Signale, sich mit den Überlegungen der Initiative zu beschäftigen.

Bald werden im Verwaltungsausschuss die Vertreter der Parteien dazu Stellung beziehen. Die BIMA hat sich gemeldet und die Möglichkeit weiterer Gespräche signalisiert. "Am Anfang hat man nicht auf unsere Initiative reagiert", sagt Schmitz, "aber langsam kommt Bewegung in die Sache."

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