Studischreck mit Businessplan

Jens Bemme ist das Enfant terrible der Uni Dresden. Seine Kommilitonen suchen ihn per Steckbrief, weil er für Unigebühren eintritt. Nun will er die Uni als Unternehmer aus der Lethargie reißen. Ist die Studentenstiftung ein Modell für Deutschland?

„An der Universität liebe ich die Freiheit, mich ausprobieren zu können“

Die Flasche missfällt ihm. In Leinenhemd und kurzen Hosen schlendert ein junger Mann durch die Dresdner Elbwiesen. Unweit erwartet ihn ein Picknick. Biologischer Käse, Melone, zwei Kommilitonen, mit denen er die nächste Aktion besprechen will. Jens Bemme hebt erst mal eine herumliegende Flasche auf, um sie in den Müll zu werfen.

Der Mann ist 26 Jahre alt, studiert das spektakuläre Fach Verkehrswirtschaft – und ist das Hassobjekt der Studierenden an der Uni Dresden. Mit Steckbriefen haben sie ihn gesucht, sein Konterfei hundertfach aufgehängt, damit man ihn „teeren und federn“ könne. Zu Jens Bemme gibt es keine neutrale Haltung. Entweder sie lieben ihn – oder sie hassen ihn.

„Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Prof. Dr. Milbradt“, diese Anrede hat Bemme den ganzen Stress bereitet. Sie steht am Anfang eines offenen Briefes, in dem der Student den schlimmsten Tabubruch beging, den man sich an einer Uni denken kann. Während seine Mitstudenten sich die Kehlen heiser plärrten, um gegen Regierung und Studiengebühren zu sein, tat er das Gegenteil. Er empfahl, den Studis der TU Dresden „moderate Studienbeiträge“ abzuknöpfen. Ja, er bat geradezu darum. „Wir sind bereit, einen Beitrag zu leisten“, schrieb er so devot wie frech im Namen der Studierenden.

Bei den Studenten hat sich Jens Bemme damit ziemlich unbeliebt gemacht. Aber das juckt ihn nicht, der ganze Furor seiner Kommilitonen gegen das bezahlte Studium ist ihm egal. „Wenn Sie meine Meinung hören wollen“, sagt er, „es gibt Modelle, da kann ich mir Gebühren vorstellen, bei anderen wiederum nicht.“ So entspannt kann es klingen, wenn ein Student über Gebühren spricht.

Und wahrscheinlich stimmt es ja sogar. Es geht Bemme nicht um Studiengebühren, er nutzt sie nur, um zu provozieren. Denn, so sagt er, „an der Uni liebe ich die Freiheit, mich auszuprobieren. Daher habe ich mir das Recht genommen, mich bei der Gebührenfrage mal genau dazwischen zu setzen.“ Das heißt: Bemme will Gebühren – sofern die Studis mitbestimmen, wie sie eingenommen und ausgegeben werden.

Die 30.000 TU-Studierenden tun das aber nicht. In Bemmes Vorstellungswelt ist das in etwa so: Studis unternehmen nichts für sich, sondern nur gegen etwas anderes. Für ihn, den notorisch Aktiven, der früher Klassen-, später Schülersprecher war, eine „armselige Haltung“. „Man kann doch nicht den Wissenschaftsminister beschimpfen – und einen Atemzug später mehr Geld für die Uni verlangen.“

Jetzt macht er also auf Unternehmer. Bemme ist gerade dabei, eine Stiftung zu gründen, eine Stiftung von und für Studenten. Der Name ist Programm: „unternehmen selbst! beteiligen“ (us!b), nennen Bemme und eine Hand voll Mitstreiter ihre Idee, die kein bescheidenes Ziel verfolgt. Die Studienbedingungen in Dresden, Anlass für Wehklagen weit über Sachsen hinaus, sollen plötzlich exzellent werden – durch Eigeninitiative. „Studenten verbessern ihr Studium“ heißt das Motto, das Bemme einem in jedem zweiten Satz einbläut. Unternehmen, so die Philosophie des us!b, ist das Gegenteil von Unterlassen.

Der Bettelbrief an die sächsische Staatsregierung war nur der Anlass, um das „unternehmen selbst! beteiligen“ zu gründen. Die Studenteninitiative machte bundesweit mit „Bibo am Sonntag“ Schlagzeilen – sie öffnete die Uni-Bibliothek für ihre Kommilitonen an Sonntagen. Die Selbstbeteiliger sammelten Spenden und wurden so zum Sesam-öffne-Dich für die verschlossene Bücherhalle. Die Studis nahmen das Angebot, das in anderen Ländern selbstverständlich ist, begeistert an.

Eine ähnliche Erfahrung hat Sylvia Wölfel gemacht. Die 23-Jährige hat beim Studium in Großbritannien andere Formen von Engagement kennen gelernt. Jetzt will sie in Dresden helfen, die Arbeit des us!b durch zielgenaues Fundraising zu verbessern. Ihr Know-how haben die Unternehmer-Studenten bislang aus Handbüchern stibitzt. Spendenakquise, Kontakte zur Wirtschaft, die Aktionen sind entsprechend unkonventionell. Um das angepeilte Eigenkapital für ihre Stiftung einzuwerben, ist der Auftritt noch nicht professionell genug. 25.000 Euro Startkapital wollten die Studis sammeln, der Kassensturz am Montag zeigte exakt 5.760 Euro auf dem Konto. Das Ziel, die Studentenstiftung schnell zu gründen, ist damit verfehlt– zunächst.

Den Studentenstiftlern macht das nichts. Es mangelt ihnen ja nicht an Ideen. Die Sonntagsbibliothek wird es wieder geben – zum vierten Mal inzwischen. Kommendes Jahr sollen die Dresdner ihre berühmte Technische Hochschule mit einer „Bürgeruniversität“ zurückerobern. Und das us!b lässt schon weiter denken. Es schreibt Stipendien von monatlich 100 Euro aus – für den Bewerber, der das interessanteste Projekt vorschlägt, um die Studiensituation der TU Dresden zu verbessern.

In Wahrheit allerdings geht es den Studentenstiftlerlnnen wohl darum, das widersprüchliche Verhältnis der Studis zum Geld auf eine neue Grundlage zu stellen. „Es wäre zwar nicht gut“, meint Jens Bemme, „wenn die Studierenden den Batzen Geld, der durch Studiengebühren hereinkäme, ganz allein verwalten müssten.“ Aber: Mitsprache, ja Kontrolle muss sein. Denn der Kultusbürokratie und den Univerwaltern traut der angehende Ökonom so wenig wie seinen Kommilitonen.

Allerdings hält er eine substanzielle Beteiligung an der Verwaltung der Unigebühren geradezu für einen emanzipatorischen Akt. „Das wäre reizvoll. Eine gute Möglichkeit, Einfluss und Bedeutung der Asten und der Studentenräte zu stärken.“

Auf den Vorbildcharakter für den Rest der Republik legen die Studentenstiftler wenig Wert. Sie belassen es beim Spott, wie heftig sich Studierende über Unigebühren aufregen – und wie wenig sie sich um die Verwendung der ihnen abverlangten Beiträge für die Studierendenschaft kümmern. CHRISTIAN FÜLLER

MITARBEIT: FRANZISKA DÄHN