Lichter in der Nacht

Zunehmend organisieren sich Wissenschaftler und Betroffene gegen zu viel künstliches Licht, denn das ist umwelt- und gesundheitsschädlich. Vor allem Astronomen klagen über den Lichtsmog

Der sommerliche Insektentod gilt als ein Indikator für die Lichtsmogstärke

von GISELA SONNENBURG

„Muss wirklich jeder kleine Ort seine Kirchturmspitze hell beleuchten?“ Andreas Hänel, Leiter des Planetariums in Osnabrück, hat Kummer, wo andere unbedarft das Licht genießen. Die berühmte Wuppertaler Schwebebahn ist ihm bei Nacht ebenso ein Graus wie manch festlich erleuchteter Bürokomplex. „Da wird Licht verpulvert“, wettert der Osnabrücker Astronom, und es geht ihm nicht nur um die Energievergeudung, sondern vor allem um die Emissionen, die von künstlichen Lichtquellen ausgehen.

Der so genannte Lichtsmog, der mit jeder Superleuchte ärger wird, stört Astronomen schon seit Jahrzehnten bei der Arbeit. Denn wenn zu viel Licht von Erden gen Himmel geht, wird das Sternegucken zum Martyrium.

Jeder kennt den Effekt, der auch ohne Teleskop eintritt: von einem hellen Standpunkt aus, womöglich in einer Großstadt mit viel Lichterzirkus, wirkt das Firmament fast sternenlos. Auf dem Land hingegen, in möglichst vollkommener Dunkelheit, funkeln auf einmal die Himmelslichter en gros.

Astronomen, auf eine freie Sicht zu den Sternen angewiesen, waren denn auch die ersten Wissenschaftler, die sich über die Nebenwirkungen des elektrischen Lichts sorgten. Mittlerweile erhalten sie Unterstützung von Biologen und Medizinern: Für Tiere und Menschen bedeutet zu viel Licht beileibe keinen Segen.

So erforscht ein Team der Universität Köln den Zusammenhang zwischen nächtlichem Licht und Krebserkrankungen: Bei Schichtarbeiterinnen wächst das Brustkrebsrisiko um etwa 30 Prozent. Bei Männern wird eine entsprechende Gefahr in Bezug auf Prostatakrebs vermutet – hier stehen noch Untersuchungen aus. Aber in Kulturkreisen wie in Grönland oder der Arktis, wo die Menschen wegen des Polarlichts in besonders abgedunkelten Räumen schlafen, ergibt sich bereits eine sehr viel geringere Krebsrate.

Auch Störungen des Herzschlags und der inneren biologischen Uhr werden ursächlich mit falschem Licht in Verbindung gebracht. Werner Wilhelm Wicker, Klinikchef im hessischen Bad Nauheim, warnt: „Tag und Nacht haben im Lebensalltag ihren eigenen Stellenwert. Verstöße werden vom Körper streng geahndet.“

Betroffene wissen oft gar nicht, woher ihre Beschwerden rühren, denn die Belästigung durch Lichteinfall während des Schlafs kann sich schleichend auswirken. Ein- und Durchschlafstörungen sollten aber als Alarmzeichen des Körpers begriffen werden. Die maßgebliche Rolle spielt hier wie auch in der Krebsforschung ein ganz bestimmter Botenstoff: das Hormon Melatonin.

Die menschliche Zirbeldrüse produziert es unter natürlichen Lebensumständen nachts, von etwa 21 Uhr an. Es sorgt als „Ruhe-“ und „Schlafhormon“ für Erholung, zugleich hemmt Melatonin die Ausschüttung anderer Hormone – ein akkurat abgestimmtes Wechselspiel. Licht hemmt jedoch die Produktion von Melatonin: manchmal reichen schon 50 bis 100 Lux, um seine Ausschüttung für Stunden lahm zu legen.

Zum Vergleich: Mondlicht hat nur [1]/3 Lux, während es eine Leuchtstoffröhre auf 200 bis 400 Lux bringt. Tageslicht ist mit 10.000 Lux am hellsten. Nur: Licht ist eben nicht nur Luxus. „Wie viel Lux braucht ein Mensch?“, fragt deshalb der Wiener Forscher Thomas Posch in seinem Vortrag, den er heute Abend im Stuttgarter Planetarium auf dem noch bis morgen gehenden International Dark Sky Symposium 2003 halten wird.

Der Kongress, ganz dem „Schutz der Dunkelheit bei Nacht“ gewidmet, versammelt internationale Experten zum Thema Lichtverschmutzung. Diese Szene ist global vernetzt, ihre raren Fachleute sind heiß begehrt. Mancher Lichtsmog-Forscher wünscht sich deshalb fast, entgegen seinem Arbeitsziel, einen 48-Stunden-Tag.

So hielt der Mainzer Zoologe Gerhard Eisenbeis, der eng mit dem Osnabrücker Astronomen Hänel zusammenarbeitet, jüngst einen Vortrag im australischen Melbourne – und litt danach unter Jetlag, wie er typischerweise durch Melatoninmangel entsteht, weil die Zeitverschiebung nicht mit dem Biorhythmus des Einzelnen harmoniert.

Häufige Flugpassagiere versuchen mit medikamentöser Zufuhr von Melatonin, ihr inneres Gleichgewicht wieder herzustellen. Aber bei langfristiger Einnahme kann es zu nicht kalkulierbaren Nebenwirkungen kommen – der Stoffwechsel ist sensibel. Das noch vor einigen Jahren als „Jungbrunnen“ und „Fitmacher“ gepriesene Trend-Hormon kam so bereits in Verruf.

Wer sich auch ohne Langstreckenflug morgens „wie erschlagen“ fühlt, sollte herausfinden, ob er ein Lichtopfer ist. Als Hauptquelle von Lichtsmog gelten noch nicht mal auffällige Konstrukte, sondern: die ganz gewöhnliche Straßenbeleuchtung. Hänel, der seit zwei Jahren die deutsche Sektion der International Dark Sky Association (IDA) leitet, bekommt die meisten Beschwerden hierzu: wenn einzelne Laternen in die Schlafzimmer leuchten.

„Amtsleiter haben meist leider keine Handhabe“, ist Hänels Erfahrung, was öffentliche Laternen betrifft. Er kann nur raten, die Schlafräume lichtdicht abzuschotten. In Augsburg allerdings geht das Umweltamt jedem Hinweis aus der Bevölkerung auf Lichtsmog nach: Die bayerische Stadt rüstet auf umweltschonendes Gelblicht um und kümmert sich um dessen Akzeptanz (siehe taz vom 17. 7. 03). Die Augsburger Natrium-Hochdrucklampen sind für Hänel indes noch nicht das Optimum: „Die haben dieselbe Lichtstärke wie das Weißlicht. Noch besser sind Natrium-Niederdrucklampen.“

Diese ziehen – statt halb so vieler – nur ein Zehntel so viele Insekten an wie normales weißes Licht. Und der sommerliche Insektentod gilt als ein Indikator für die Lichtsmogstärke: Jährlich sterben in Deutschland etwa 150 Billionen nachtaktive Lebewesen im gleißenden Schein. Je heller und je breiter streuend er ist, desto heftiger fühlen Falter und Co. sich angezogen.

Warum sie darin bis zum Erschöpfungstod kreisen, erforscht derzeit Zoologe Eisenbeis. Laut ihm nimmt der Lichtsmog alarmierend zu, Resultat: „Es gibt immer weniger Insekten hierzulande.“ Stechmücken haben am Massensterben übrigens den geringsten Anteil.

Astronomen befürchten noch ganz andere Auswirkungen der „Lichtsucht“ in den Städten. „Wann verschwinden Sonne, Mond und Sterne für immer?“, fragt die Hauptdiskussion des Stuttgarter Symposiums. Und Andreas Hänel nennt seinen dortigen Beitrag provozierend: „Sind Menschen Motten?“ Hänel: „Deutsche Politiker möchten am liebsten immer mehr Licht.“ Seine Hoffnung: „Viele Bürger wollen sich das nicht mehr gefallen lassen.“

Dann wird mobil gemacht gegen zu viel Licht. So gewann Gerhard Eisenbeis den „Mainzer Lichtkrieg“: Seither glänzt die Einkaufsmeile „Lu“, wie Mainzer ihre Ludwigstraße nennen, nachts nur mäßig. Das für den Ort Kandel zuständige Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz verbot gar vor kurzem einen Skybeamer: „Landschaftsschutz und das Erholungsbedürfnis der Bewohner“ haben demnach Vorrang.

Andernorts leuchten Argumente auch ohne gerichtlichen Befund ein. So in Hildesheim, das über eine beliebte „Volkssternwarte“ verfügt. Dort verzichtet eine Diskothek auf den Einsatz ihres die Sicht vernebelnden Skybeamers: Ein guter Ruf bei den „Himmelsschützern“, immerhin potenzielle Kunden, ist den Betreibern wichtiger.

Die Stuttgarter Lichtweisen kämpfen derweil für gesetzliche Grenzwerte nach oben, was Licht angeht. Bisher gibt es nämlich nur solche nach unten: Mindestnormen, wegen der Verkehrssicherheit. Ängstliche Menschen kann Hänel aber beruhigen: „Es will niemand zurück in die Steinzeit.“

Infos: www.darksky.ch