Mann ohne Heimat

Der polnische Literaturnobelpreisträger und Kommunismuskritiker Czeslaw Milosz ist gestorben

In Krakau wehen die Fahnen auf Halbmast. Die Stadt trauert um den Literaturnobelpreisträger Czeslaw Milosz. 1989 kehrte der Dichter und Essayist aus dem amerikanischen Exil nach Polen zurück. Krakau nahm ihn, den 1911 im litauischen Seteiniai geborenen, mit offenen Armen auf.

Czeslaw Milosz fühlte sich Zeit seines Lebens heimatlos. Immer wieder kehrte er in autobiografischen Büchern zu seiner Kindheit im polnisch-litauischen Grenzgebiet zurück, so in dem Roman „Das Tal der Issa“ (1955) und in der Essaysammlung „Westliches und östliches Gelände“ (1959). Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war Czeslaw vier Jahre alt. Sein Vater, ein polnischer Bauingenieur, diente in der Armee des Zaren, konnte aber von Frau und Kind begleitet werden, da er vor allem Brücken und Befestigungsanlagen baute. So erlebte der Sechsjährige Czeslaw die Oktoberrevolution in Russland aus nächster Nähe. Nach 1918 blieb die Familie noch drei Jahre in Setainiai, dann zog sie ins polnische Wilna. Hier besuchte der dreisprachig aufgewachsene Milosz das Gynasium, studierte Jura und veröffentlichte seine ersten Gedichte. Mitte der Dreißigerjahre feierte er seine ersten Triumpfe, erhielt Literaturpreise und ein längeres Stipendium in Frankreich, schloss sich einer avantgardistischen Literatengruppe an. Als er aus politischen Gründen seine Arbeit beim Polnischen Radio in Wilna verlor, zog er nach Warschau.

Ende 1945 ging er für das neue kommunistische Regime Polens als Diplomat in die USA. Die Arbeit an der Botschaft langweilte ihn, und so übersetzte er viel aus dem Englischen ins Polnische. 1950 wurde er nach Paris versetzt, doch nach einem kurzen Aufenthalt in Polen kehrte er nicht mehr auf seinen Posten zurück. Stattdessen ersuchte er um politisches Asyl in Frankreich. Kurz darauf erschien das Buch „Verführtes Denken“, das ihn mit einem Schlag in der ganzen Welt berühmt machte. Darin analysierte er die Haltung jener Intellektuellen, die, fasziniert vom Kommunismus, bereit sind, auch Verbrechen zu begehen. Daneben porträtierte Milosz auch jene, die sich zynisch oder ängstlich auf eine Zusammenarbeit mit dem Regime einließen.

1960 folgte er einer Einladung der Universität Berkeley nach Kalifornien, erhielt eine Professur für Slawische Literaturen und blieb für die nächsten 20 Jahre. Sein Buch „Die Geschichte der polnischen Literatur“ gilt als herausragendes Standardwerk. 1980 erhielt Milosz den Literaturnobelpreis; nun wurde er auch in seiner Heimat groß gefeiert. Seine Bücher konnten bis dahin nur in polnischen Untergrundverlagen erscheinen. „Der du dem einfachen Menschen Unrecht / Getan hast und darüber noch lachst, / […] Sei nicht so sicher. Der Dichter merkt es. / Du kannst ihn töten – es kommt ein neuer.“ Diese Milosz-Verse zieren seit 1980 das große Denkmal vor dem Eingangstor der Danziger Werft, der Wiege der polnischen Freiheitsbewegung Solidarność. GABRIELE LESSER