zwischen den rillen
: Songs jenseits der Erwerbsbiografien: Britta

Das Beben der Boheme

Im Grunde genommen bedeutet ihnen Erfolg natürlich nichts. Rock am Ring, Rock am See, „wir wollen da gar nicht hin, und es tut auch nicht mehr weh“. Ein bisschen beleidigt sind Britta trotzdem. Nachdem sie vor zwei Jahren mit ihrer CD „Kollektion Gold“ doch nicht den großen Durchbruch geschafft und mit ihrem neuesten Werk vergeblich an die Türen der großen Labels geklopft haben, erzählen Britta auf „Lichtjahre voraus“ erst einmal davon, wie schwer es vier Frauen in einem Geschäft haben, in dem es „sowieso nur Bands mit Jungs“ gibt. Ausgerechnet eine Zeile von Neil Young hält diese kleine Absage an eine Männerwelt, in der jeder „sich für kleines Geld verkauft“, zusammen: „Ich kenne das Feeling, und ich kenne auch den Sound: to be a woman and to be turned down.“

So viel Selbstmitleid muss sein. Im Großen und Ganzen haben Britta auf ihrer dritten CD allerdings weniger von Neil Youngs Feeling für den Geschlechterkampf als von seinem Sound profitiert. „Lichtjahre voraus“ klingt, mit seinen gründlich zersägten und fein säuberlich übereinander gestapelten Gitarren, dunkler und erwachsener als die Vorgänger „Irgendwas ist immer“ und „Kollektion Gold“. Auch wenn es mit dem Major-Deal nicht geklappt hat und die CD auf dem hauseigenen Label Flittchen Records erscheinen muss: Fünf Jahre nach ihrer Gründung nehmen Britta Abschied vom „Schlumpfrock“, wie sie ihre bis dahin leicht verschepperte Musik einmal selbst beschrieben haben. Jetzt wird es ernst.

Für die Band ist es ein weiterer Schritt aus dem Schatten der Lassie Singers, der legendären „ersten deutschen Girlband“, mit der die Britta-Chefin und -Texterin Christiane Rösinger in den Neunzigerjahren bekannt geworden worden war. Eine einzige Zeile aus einem ihrer Hits hat sich auf „Lichtjahre voraus“ herübergerettet: „Jeder ist in seiner eigenen Welt, aber meine ist die richtige.“

Das hörte sich bei den Lassie Singers irgendwie frech und überdreht an – und ist heute zu einem sympathischen, wenn auch etwas unzeitgemäßen Glaubensbekenntnis gereift: Britta stehen mit ihren melancholischen Songs aus dem Alltag jenseits der Erwerbsbiografien und Angestelltenverhältnisse für die feste Überzeugung, dass es sehr wohl ein richtiges Leben im falschen gibt.

Also posieren sie auf dem Cover zwischen Ledermöbeln und vor bröckelndem Putz und zeigen im Booklet auf schwarzweißen Porträts selbstbewusst die Spuren, die – zumindest für die drei Älteren von ihnen – knapp zwanzig Jahre Rock ’n’ Roll auch in ihren Gesichtern hinterlassen haben. Diese Damen müssen ihr Leben gar nicht erst an der Reklamation zurückverlangen. Sie haben es nie gegen eine neue Version getauscht.

Von dem leicht streberhaften Ehrgeiz, mit dem sich eine Band wie „Wir sind Helden“ von den „toll dressierten Affen“ der Leistungsgesellschaft distanziert, ist Britta Lichtjahre entfernt. Christiane Rösinger hat kürzlich in einem taz-Artikel den Begriff der „Lo-Fi-Boheme“ geprägt: „Auf wundersame Weise schlagen wir uns seit vielen Jahren als Freelance-Proletarier irgendwie durchs Leben und gehören nun einer Art niedrigschwelliger, leicht verarmter Großstadtboheme an. Die Old und New Economy, die Erlebnis- und Dienstleistungsgesellschaft ging irgendwie an uns vorüber, die Ich-AG ist für uns ein alter Hut. Wir beklagen uns manchmal, wollen aber eigentlich nicht anders leben.“

„Lichtjahre voraus“ ist der perfekte Soundtrack zu diesem Lebensgefühl – eine CD für alle, die die Agenda 2010 noch nicht völlig um den Verstand gebracht hat. Die Songs von Britta erzählen Geschichten aus diesem märchenhaften Land, in dem man von der Rürup-Kommission nichts wissen will und seine Work-Life-Balance zugunsten produktiver Melancholie und Selbstzweifel verlagert hat. Statt in den Klagegesang über den Niedergang des Sozialstaats einzufallen, beantwortet man lieber geduldig bei jedem ersten Date wieder die gleichen Fragen: „Studium und Arbeit, Autos, die man hatte, das erste Mal, die erste Platte.“

In diesem Land ist das Glück kein Bausparvertrag, sondern ein Song von den Smiths oder „Lou Reed, Perfect Day“, und wenn einem im Herbst der „feige Nieselregen“ und der Ostwind zu schaffen macht, wärmt man sich in seiner Kreuzberger Altbauwohnung am Pathos vergangener Zeiten. Darum findet sich auf „Lichtjahre voraus“ kurz vor Schluss auch ein kämpferischer Song von Ton Steine Scherben. „Wir müssen hier raus“ stammt aus dem Jahr 1972, als man noch fest davon überzeugt war, dass „kein Geld, keine Waffen“ die einzigen Voraussetzungen für ein Leben in Freiheit seien. Mehr verlangen Britta auch nicht.

KOLJA MENSING

Britta: „Lichtjahre voraus“ (Flittchen Records/EFA)