Prozess auch gegen die USA

Al-Motassadeq steht heute erneut vor Gericht: wegen der Anschläge vom 11. September. Sein Verteidiger kontert, dass die USA die Zeugen vermutlich gefoltert hätten

FREIBURG taz ■ Heute steht der Marokkaner Mounir al-Motassadeq erneut als Angeklagter vor dem Hamburger Oberlandesgericht (OLG). Er soll bei den Anschlägen vom 11. 9. 2001 geholfen haben.

Al-Motassadeq hat Erfahrung mit der Rolle als Angeklagter: Im Februar vorigen Jahres verurteilte ihn das OLG zu 15 Jahren Haft. Es war das weltweit erste Urteil wegen der Anschläge von New York und Washington. Doch ein Jahr später hob der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil wieder auf. Es sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass Aussagen wichtiger Zeugen – wie vom Mittäter Ramsi Binalshibh, der in den USA einsitzt – von den Vereinigten Staaten blockiert wurden.

Jetzt muss ein anderer OLG-Senat das Verfahren nochmals von vorn aufrollen. Al-Motassadeq gehörte zur Clique um den ägyptischen Todespiloten Mohammed Atta und soll die Angelegenheiten anderer Gruppenmitglieder verwaltet haben, während sich diese in Afghanistan und den USA aufhielten. Der Marokkaner räumte zwar „Freundschaftsdienste“ ein, wollte aber von den Anschlagsplänen nichts gewusst haben.

Der Spiegel vermutet bereits, ein weiterer Freispruch würde das „transatlantische Klima“ nachhaltig stören. Davon ist bisher allerdings nichts zu spüren. Die USA haben derzeit wohl andere Sorgen als ausländische Strafprozesse gegen Randfiguren des Al-Qaida-Netzwerks. Außerdem haben sich die USA bereits viele Sympathien bei der deutschen Justiz verscherzt: Warum soll sich Deutschland für einen Freispruch tadeln lassen, wenn er doch wesentlich durch die fehlende Kooperationsbereitschaft der Amerikaner verursacht wurde?

Recht deutlich erteilen daher deutsche Gerichte den USA einen Rüffel: Der Kampf gegen den Terrorismus dürfe „kein wilder ungeregelter Krieg“ werden, sagte der Vorsitzende BGH-Richter Klaus Tolksdorf, als er al-Motassadeqs Verurteilung aufhob. Auch hier seien die rechtsstaatlichen Regeln einzuhalten, damit möglichst keine Unschuldigen verurteilt werden. Die Anspielung auf den völkerrechtswidrigen und mit getürkten Beweisen eingeleiteten Irakkrieg der USA war nur allzu deutlich.

Auch im neuen Motassadeq-Verfahren zeichnet sich nicht ab, dass die USA künftig besser kooperieren wollen. Das Gericht hat noch einmal Zeugen aus den USA geladen – neben den Al-Qaida-Kadern Binalshibh und Chalid Scheich Mohammed ist das auch Ex-CIA-Chef George Tenet. Außerdem wurde ein 17-seitiger Fragenkatalog zu den US-Verhörprotokollen überstellt. Doch noch ist völlig offen, ob die USA belieben, rechtzeitig vor Prozessende zu antworten.

Für Verteidiger Josef Gräßle-Münscher ist es aber fast egal, ob aus den USA noch Post kommt. Die Vereinigten Staaten müssten erst einmal beweisen, dass die Verhöraussagen ohne Folter zustande kamen, so der Anwalt, sonst wären sie im deutschen Strafprozess nicht verwertbar. Dieser Argumentation wird sich auch der OLG-Senat unter dem Vorsitz von Richter Ernst-Rainer Schudt nicht entziehen können. Immerhin sind aus dem Irak hunderte von Fotos bekannt, die Misshandlungen von gefangenen Irakern belegen. Rückkehrer aus Guantánamo berichten ebenfalls, sie seien systematisch misshandelt worden, um Aussagen und Geständnisse zu erpressen. Und von der US-Regierung sind Befehle und Gutachten bekannt, die verschärfte Verhörmethoden für zulässig erklären.

Zu Beginn des Prozesses will Gräßle-Münscher deshalb die Einstellung des Verfahrens fordern. „Das Gericht muss ein Zeichen setzen, dass Folter sich nicht auszahlt.“ Generalbundesanwalt Kay Nehm glaubt dagegen, dass seine Indizienkette gegen Motassadeq auch ohne US-Hilfe überzeugend genug ist, um eine Verurteilung zu erreichen. Der Prozess soll nach derzeitiger Planung mindestens bis zum 5. Januar laufen. CHRISTIAN RATH