kirsten fuchs über Kleider
: Füße nach einem langem Espandrillo-Tag

Saisonbilanz 2003: Die Schuhe aus Bast und Stoff drücken noch immer nicht. Aber sie müffeln und saugen weiter

Espandrillos? Sind das nicht diese Stoffschuhe, die so aussehen wie glutenfreie Gummibärchen aus’m Bioladen und wie Kinder, die Torben und Malte heißen? Und wie Katzenpostkarten am Kühlschrank mit Magneten befestigt, die Salatköpfe darstellen? Wer hat schon gerne Klischees am Hacken?

Ich finde, Espandrillos sehen aus wie Sommerabende auf dem Biergarten „Eigener Balkon“ und wie die wirklich freie deutsche Jugend auf einem Straßenkonzert. Das rockt. Nur Pogotanzen könnte etwas wehtun. Bis Espandrillos mit Stahlkappen hergestellt werden, gehe ich nur zu lateinamerikanischen Musikern.

Espandrillos sind cool. Schon allein, weil für sie gilt, was für das Coolheitssymbol schlechthin, die Jeans, auch gilt: Gib ihnen einen harten Outdoor-Sommer, und dann werden sie zu Kleidungsstücken, die wie maßgeschneidert zu deinem Körper gehören. Wer einmal mit Espandrillos anfängt, der wird den bequemen Turnschuhen eine Sommerpause im Schrank gönnen – sie sind nicht bequem genug. Und er wird Sandalen eine Qual finden: Riemchen auf, Riemchen zu und aufgescheuerte Knöchel. Espandrillos fühlen sich gar nicht an. Sie sind politisch korrekt, und darum drückt der Schuh nicht.

Wenn sie nur nicht riechen würden. Nachdem sich eine Pfütze an der hauchdünnen Plastikschicht vorbei in die Bastsohle gesaugt hat, müffeln sie leider nach alten Autositzen, die in einer Scheune gelagert werden. Drei Ziegen fressen die Füllung aus den Sitzen, und verschwitzte Kinderfüße hüpfen auf den ausgeleierten Sprungfedern herum. So riechen auch die Füße nach einem Espandrillotag.

Das ist ein Nachteil, aber auch der einzige. Neben dem anderen, dass Espandrillos, wenn sie denn nass werden, aufquellen und schwer sind. Aber das sind die einzigen Nachteile – eine große Scheiße ist es, wenn beide Minuspunkte in der schlimmsten Form zusammen auftreten.

Das kann sich kein Mensch ausdenken, das muss man erlebt haben. Ich also, ich geh zu einem Hoffest, ja? Ich steh da so rum, ja? Tolles Wetter, Freunde, Musik, Grillen, ein süßer Hund, alles tutti. Ich, cool in meinen Espandrillos, und der Hund, das Schwein, schifft neben die Bierkiste, auf der ich sitze. Irgendwann fühlen meine Füße, dass es nass wird. Danach ist der Hof wieder trocken und meine Schuhe sind ein Pippischwamm. Ich bin angepisst. Die Sandalenträger lachen rassistisch.

Das traurige Ende vom Lied – ein Sommerhit, ich weiß – war, dass ich meine Schlappen unter dem Händetrockner eines Cafés getrocknet habe. Das hat nicht gut gerochen. Wer im Krieg schon mal im Lazarett gearbeitet hat, weiß vielleicht, was ich meine. Aber sonst, also sonst, davon abgesehen, sind Espandrillos tolle Schuhe.

Ich kann auch gar nicht leugen, welche zu tragen. Selbst wenn ich von heute auf morgen einen Modestilknick in meinem Lebenslauf vorhätte, bleiben die Indizien für den Besitz mindestens eines Latschenpaares auf meine Füße gebrannt. Noch in den letzten Tagen habe ich mir während eines Besuches in Dresden die Fußrücken verbrannt. Ich saß am Elbufer und las, während die Sonne das typische Negativ des Schuhs herausbildete.

Früher war ich ja zu jung für Espandrillos. Meine ältere Schwester hat mir mal welche gekauft, und weil ich in der Schule nicht verhauen werden wollte, trug ich tapfer meine Schnürstiefel weiter durch den Sommer. Die Weisheit kommt mit den Schweißfüßen, und man lächelt sich still in der Stadt an, wenn man andere Bastlatschenträger trifft. Wir, die wir diese Schuhe mögen, und wir, die wir uns deshalb mögen, selbst und gegenseitig, wir wissen schon, was wir an diesen Botten haben. Jeden Sommer eine neue Farbe, für die man sich entscheidet: gelb, rot, weiß … auch gemusterte habe ich gesehen. Dieses Jahr ist das Angebot wieder reichhaltiger.

2002 bin ich rumgerannt, und kein Schuhladen hatte Espandrillos. Ich fand sie, und das sagt doch schon alles, im Geschenkeladen. Espandrillos sind ein Geschenk. Sie bleiben ein bewegtes oder zwei faule Jahre bei mir. Im Herbst verlieren sie ihre Gummisohle wie die Blätter ihr Laub. In der ganzen Stadt liegen Gummireste. Dann franst der Bast aus. Zum Schluss haben sie nichts mehr mit der Größe zu tun, die auf der Sohle stand. Ein Espandrillotauschring könnte sinnvoll sein, über drei Schuhgrößen geht ihre Metamorphose, aber der Geruch, der besagte …

Und warum sollen diese Schuhe nicht Vergänglichkeit symbolisieren? Nächstes Jahr sind’s andere Espandrillos. Ich bin vielleicht romantisch. Im Herbst entschwinden sie wie die Zugvögel. Im Schrank poltern schon die Schnürstiefel.

Fragen zum Schuhherbst? kolumne@taz.de