Echte Helden und echte Schweine

Bücher, die man einstecken kann wie ein Päckchen Zigaretten: Der Heyne Verlag ist das eigentliche Objekt der Begierde beim immer noch schwebenden Übernahmeverfahren der Ullstein-Heyne-List-Gruppe durch Random House. Ein Verlagsporträt

„Heute prügeln wir uns doch längst mit Rowohlt und dtv um dieselben Lizenzen“

von SEBASTIAN DOMSCH

Verlage verkaufen Bücher, in denen etwas über die Welt steht. Die Welt aber ist gar nicht dafür gemacht, in Bücher gepresst zu werden. Sie ist zu komplex, zu unverständlich, und die Mittel unserer Sprache greifen immer zu kurz. Auf dieses Dilemma können Verlage zum einen mit Büchern reagieren, die das Scheitern betonen, die Unzulänglichkeit der Sprache problematisieren und sich selbst ironisieren. Bücher, die nicht selten sagen, dass es gar nichts zu sagen gibt, und wenn doch, dass man es gar nicht sagen kann. Solche Bücher sind immer anspruchsvoll, nicht selten anstrengend und manchmal unterhaltend.

Der Verlag kann aber auch einfach vergessen, dass Buch und Welt niemals identisch sind, er kann sogar die Welt vergessen und sie in seinen Büchern ganz neu erfinden. Dann kann er ihr mehr Sinn geben, mehr Ordnung oder mehr Exotik, dann sind Männer wieder echte Helden (Western) oder echte Schweine (Frauenroman). Dann kann man Gesundheit genauso erklären wie beruflichen Erfolg, und wo man ein dunkles Geheimnis vermutet, da wird auch eins sein, egal ob im Vorleben des neuen Kinderarztes oder hinter den Türen des Bundesnachrichtendienstes. Solche Bücher sind manchmal anspruchsvoll, selten anstrengend und immer unterhaltend.

Der Heyne Verlag in München ist ein Unterhaltungsverlag. Er ist nicht zuletzt durch sein breites Science-Fiction-Programm als Vermittler ungezählter Parallelwelten bekannt, mit seinen Ratgeberreihen ist er ein unermüdlicher Welterklärer, einer, in dessen Büchern die Wirklichkeit stets ein bisschen aufregender ist als in Wirklichkeit und der es mit der Trennung von Fakt und Fiktion nicht immer so genau nimmt. Hier darf der BND-Agent endlich einmal heraus aus dem Observations-Opel und ein bisschen lautlos töten. Das Lesepublikum hat es dem Verlag gedankt, hat dessen Taschenbücher mehrere hundert Millionen Mal gekauft, gelesen und weitergetauscht und dem Verlag damit eine dominante Stellung auf dem Taschenbuchmarkt verschafft. Das hat Begehrlichkeiten geweckt. Bereits 2001, nachdem ihm eine schwere Krankheit zu schaffen machte, übergab Deutschlands größter Privatverleger Rolf Heyne die Mehrheit an seinem Verlag an den Axel Springer Verlag. Springer amalgamierte Heyne daraufhin mit seinen anderen Verlagen zur Ullstein-Heyne-List-Gruppe. Zwei Tage nach der Verkaufsmeldung ist Rolf Heyne gestorben. In diesem Jahr folgte dann die Übernahme der ganzen Gruppe durch den Bertelsmann-Konzern, die vorerst durch das Kartellamt gestoppt wurde. Bertelsmann lenkte ein und verzichtete auf mehrere Verlage, will aber vor allem an Heyne festhalten. Der Rest der Branche ist in heller Aufregung, da er sich nach dieser Fusion einem Marktbeherrscher gegenüber wähnt. Es ist daher in den letzten Monaten viel über Heyne gesprochen und geschrieben worden, viel über Marktsegmente, Prozentangaben und Umsatzzahlen. Um Bücher ging es nur in ihrer Form als Regalmeter in Buchhandlungen.

Fährt man die Bayerstraße, in der der Verlag vor kurzem Quartier bezogen hat, ein Stück stadtauswärts, kommt man zu einem Antiquariat speziell für Romanhefte und Taschenbuchreihen, der voll ist mit Heyne-Produkten. Ulrich Genzler, seit 1997 Programmgeschäftsführer für die Verlage Heyne, Marion von Schröder und Diana, ist dieser Laden, der von der Langlebigkeit der Alltagsliteratur zeugt, noch nicht bekannt. Zu kurz erst befindet man sich im neuen Haus, noch hatte niemand Zeit, die unmittelbare Nachbarschaft zu erkunden. Noch sind manche Räume im Bau, und überall stapeln sich Umzugskartons. Es sieht alles wie Aufbruchstimmung und Neuanfang aus, gleichzeitig lähmt die ungewisse Zukunft. „Es ist nicht so, als würden wir keine Bücher mehr einkaufen“, sagt Genzler, der vor seiner Zeit bei Heyne selbst bei Bertelsmann war, zuletzt als Cheflektor für Goldmann, „aber wir würden doch gerne bald einmal wissen, wie es weitergeht“. Alles blickt jetzt auf das Kartellamt, das seine Entscheidung mehrfach hinausgezögert hat. Aktueller Termin ist der 30. September 2003.

Dann beginnt vielleicht für den Heyne Verlag eine neue Phase. Seine Geschichte bisher lässt sich vor allem in die Zeit vor dem Taschenbuch und die Zeit seitdem unterteilen. 1934 bezog Wilhelm Heyne mit seinem soeben gegründeten humanistischen Buchverlag eine klassizistische Villa in der Reichsstraße 17 und verlegte dort, mit Franz Schneekluth als Verlagsleiter, Novellen von Reinhold Conrad Muschler und Werner Bergengruen. Nachdem 1945 das Verlagshaus bei einem Bombenangriff vollkommen zerstört wurde, setzte die Verlagsarbeit für drei Jahre aus. Die Familie Heyne zog nach München, wo Wilhelm Heyne 1948, zunächst mit einer Minderheitsbeteiligung von 40 Prozent bei Franz Schneekluth, die Buchproduktion wieder aufnimmt. Der Krieg war vorbei, es wurden wieder Bücher gemacht. 1951 tritt Rolf Heyne in den Verlag des Vaters ein, und er war es dann, der den entscheidenden Schritt machte.

In Amerika hatte Rolf Heyne fasziniert beobachtet, wie Kunden in einem Supermarkt ein Taschenbuch mitnahmen wie eine Schachtel Zigaretten, ganz ohne den Respekt vor einem hochkulturellen Objekt, den man in Deutschland noch für angemessen hielt. Daher initiierte er 1958 ein Taschenbuchprogramm und eröffnete sich damit einen Markt, dessen Expansion im Lauf der nächsten vierzig Jahre alle Erwartungen übertraf. Bis 1973 sind bereits 75 Millionen Heyne-Taschenbücher erschienen, 1988 erreicht der Verlag, bei mehr als 11.500 Titeln, eine Gesamtauflage von etwa 350 Millionen Exemplaren.

Vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjahren werden unzählige Reihen geschaffen, mit denen Heyne in dieser Zeit sein Profil bildet und seine Stammleser an sich bindet. Die Kriminalreihe ist 1962 die erste, die aus der Allgemeinen Reihe ausgegliedert wird, es folgen unter anderen Western, Science Fiction, Sachbuch und Tierkreisbücher. 1967 startet, ganz im Geist der Zeit, die Reihe Exquisit Bücher mit dem Titel „Bordellgeschichten der Weltliteratur“.

Als Heyne 1998 das vierzigjährige Bestehen seiner Taschenbücher feierte, hatte allerdings längst ein Wandel in der Programmplanung stattgefunden, denn mit den Neunzigerjahren entdeckte der Verlag die Tugenden des Hardcovers neu. Schon länger gab es die Collection Rolf Heyne, in der der Verleger seine Liebe zum schönen Buch mit großformatig opulenten Bänden über Essen, Trinken und Lifestyle ausleben konnte. Dieser Bereich gehörte dann auch nicht zum Verkaufspaket für Springer und wird weiterhin unabhängig von Anja Heyne geführt. Ansonsten aber ging Heyne den im deutschen Verlagswesen eher ungewöhnlichen Weg, als Inhaber von Originalrechten die eigenen Bücher nur im Taschenbuch herauszubringen und für die Hardcover-Ausgaben Lizenzen an andere Verlage weiterzugeben.

Der Heyne Verlag hat eine dominante Stellung auf dem Taschenbuchmarkt

Das hat sich geändert. Die klassische Reihe spielt längst nicht mehr die gleiche Rolle wie früher, zu viele Nischenverlage profilieren sich mittlerweile in den einzelnen Sparten und Genres. Gefragt sind heute vor allem große Namen, große Titel, vorzugsweise aus Amerika, die ein Verlag sich wie Orden an die Brust heften kann. Um die muss man auch mit großen Gesten kämpfen. Deutsche Scheckheft-Verleger erfreuten sich daher in den letzten Jahren bei amerikanischen Literaturagenten großer Beliebtheit, und die Vorschüsse für Spitzentitel erklommen astronomische Höhen.

Doch ein international umworbener Autor will heutzutage mehr als nur einen saftigen Geldbetrag von seinem Verlag, er erwartet einen Rundumservice mit lückenloser Verwertungskette, und an deren Anfang steht nun einmal ein sorgfältig produziertes, schwergewichtiges Hardcover, das literarische Bedeutung auch haptisch erfahrbar macht. 2001 war das erste Jahr, in dem die Verlagsgruppe Ullstein Heyne List mehr Umsatz mit ihren gebundenen Büchern gemacht hat als mit dem Taschenbuch. Mittlerweile erscheint ein Drittel der Titelproduktion im eigenen Hardcover-Programm. 20 Prozent stellen noch die Fremdlizenzen im Taschenbuch dar, doch diese Zahl geht stetig weiter zurück. Im Steigen begriffen ist dagegen der Anteil der Originaltaschenbücher, für die es seit kurzem gesteigertes Interesse gibt. Originalveröffentlichungen im Taschenbuch finden mehr Aufmerksamkeit, seit bedingt durch die drucktechnische Entwicklung ein Taschenbuch kein billiger gemachter Reihentitel mit schmierender Druckerschwärze mehr sein muss, der beim Lesen auseinander fällt. Die neue, auch als Geschenk taugliche Form bringt auch neue Inhalte mit sich. Bei Originalausgaben im Taschenbuch kann man sich etwas mehr trauen als im Hardcover, erläutert Genzler, man kann schrägere Titel unterbringen, da der Leser ihnen mit einer entsprechenden Erwartung entgegenkommt. „Das ist auch eine Folge der Krise, wenn alte Kanäle austrocknen, muss man sich eben wieder neue erschließen.“

Mit diesen Entwicklungen kommt Heyne vielleicht seinem programmplanerischen Ziel näher als je zuvor. Während das deutsche Verlagswesen, allen voran die selbst ernannten Hochkulturverlage, stets auf eine scharfe Abgrenzung von E und U pochten, wollte Heyne, so Genzler, diese Grenze nie wirklich akzeptieren. Mittlerweile scheinen sich alle Verlage, wenn auch von unterschiedlichen Seiten her, der Grauzone zu nähern, die beides sein kann. „Heute prügeln wir uns doch längst mit Rowohlt und dtv um dieselben Lizenzen.“

Vielleicht liegt die Angst der Verlage vor einem Heyne-Random-House-Ungetüm auch darin begründet, dass sie sich mit ihrem Programm gar nicht mehr so scharf abheben wie in der zeitgleichen Blütezeit von edition suhrkamp und Heyne „action“. Für Heyne selbst sind vielleicht die wichtigsten Veränderungen bereits geschehen, wie die vielen unausgepackten Umzugskisten auf dem langen Gang vor Genzlers Büro belegen. Der Wechsel vom unabhängig geführten Familienunternehmen zum Konzernverlag kam schließlich bereits vor zwei Jahren mit dem Wechsel zu Springer. Der damalige Umzug in die Paul-Heyse-Straße bedeutete räumliche Enge und das Gefühl eines Provisoriums. In der Bayerstraße ist endlich genug Platz unter einem Dach für die gesamte Verlagsgruppe. Ob es sich allerdings wirklich lohnt, die Kisten auszupacken und einzusortieren, kann im Moment niemand sagen. Den Siedler Verlag hat Bertelsmann gerade von der Spree an die Isar in seine neue Zentrale beordert.