Der Killer füttert den Vogel

Vorboten eines ausbleibenden Blutrausches: Hans-Werner Kroesinger inszeniert Paul M. Waschkaus „Hyänenherz. Traum eines Kamikazefliegers“

Was haben Brutus, Vince Vega und eine Streifenhyäne gemeinsam? Sie wissen nicht, dass sie ein Herz haben.

„Mit gestählten Nerven schleicht die Streifenhyäne durch die dampfenden Steppen eines glühenden Fleischangebots“, skandiert ein in den groben Maschen einer Hängematte verfangenes Menschenbündel. Lange, dünne Glieder beulen sich durch die Hängematte, der Sprecher zappelt wie ein Fisch im Netz. „Die Hyäne weiß, dass ihre Stunde kommen und schlagen wird. Und auf diese Stunde wartet sie.“ Die Hängematte wird von konvulsivischen Zuckungen geschüttelt, die Zunge des Gefangenen sticht durch die Maschen, Hände krallen sich in das Geflecht, fast fällt der Körper heraus.

Aber nur fast – während der gesamten Aufführung von „Hyänenherz. Traum eines Kamikazefliegers“ verlässt Paul M. Waschkau, Autor und Darsteller in Personalunion, nie die Hängematte. Halb eingemummelt, halb verstrickt hängt er von der Decke, eingerollt wie ein zu groß geratenes Kind oder manisch schaukelnd bis die Halterungen quietschen. Die Hängematte mit dem gefangenen Propheten, der seine Weisheiten bald raunt, bald hinausschreit, bildet das Herzstück des Bühnenbilds. Daneben hängt als zweiter Gefangener ein Kanarienvogel im Käfig von der Decke. Um die beiden zieht ein Wesen ohne Herz seine Kreise: Brutus alias Vince Vegas alias Die Hyäne trägt Bürstenhaarschnitt und Maßanzug.

Uwe Schmieder spielt den freundlich-eiskalten Killer perfekt. Wenn er ein blutrotes Getränk bereitet und wie ein grimmiger Hütchenspieler die Likörgläschen mit der roten Flüssigkeit verschiebt, stellen sich einem die Nackenhaare auf. Wenn er als Brutus dem todesängstlichen Geschwafel des Hängematten-Caesars lauscht, ein Messer auf einem Steinteller drehend, wird es kühl im Raum.

Die Killermaschine ist ein ganz normaler Mann, der den Vogel füttert, Anzüge aus der Reinigung holt und bei einer Zigarette über alte Liebschaften sinniert. Ähnlich eines Film-Noir-Helden hat er sogar eine poetische Seite. Die immer wiederkehrende Jazzmelodie aus den Lautsprechern beschwört einen Jean-Paul Belmondo mit feuchten Augen herauf, einen tragischen Yves Montand. Der sensible Auftragsmörder hat längst die Lust am Töten verloren, er sehnt sich nach Transzendenz. Mit einem traurigen Blick zu dem verstrickten Opfer in der Hängematte sagt er: „Wenn meine Zeit gekommen ist, werde ich aufblitzen und ins Weiß stürzen.“ Die Hyäne im Maßanzug ist hungrig nach Selbstüberwindung.

„Hyänenherz. Traum eines Kamikazefliegers“ ist bereits die vierte Uraufführung des Berliner Autors und Schauspielers Paul M. Waschkau. Die leicht ins Hysterische kippenden Textmassen, die er unablässig ausstößt, werden im Orphtheater wirkungsvoll von Regisseur Hans-Werner Kroesinger auf zwei Figuren aufgeteilt und so gebändigt.

Ohne eine einzige Gewaltszene schafft Kroesinger eine beklemmende Atmosphäre. Kleine Gesten wie das Anschalten eines Campingkochers wirken wie Vorboten eines Blutrauschs. Das erwartete Gemetzel bleibt aus, zurück bleibt dennoch Entsetzen. NINA APIN

„Hyänenherz. Traum eines Kamikazefliegers“ von und mit Paul M. Waschkau. 23. 8. und 24. 8., 28. 8. bis 31. 8., 21 Uhr, Orphtheater, Ackerstr. 169/170, Tel. 4 41 00 09