Filming Cure

Wozu sind starre Grenzen gut? Wie wirken sich beim Drehen von Filmen Verbote und Beschränkungen auf die Kreativität aus? Die beiden dänischen Regisseure Lars von Trier und Jørgen Leth haben mit „The Five Obstructions“ eine experimentelle Filmstudie erstellt, einen Film über das Filmemachen

VON HARALD FRICKE

Ein schlaksiger, wohl frisierter junger Mann tanzt schräg von links nach rechts durchs Bild. Schwarzer Anzug, glänzend gewienerte schwarze Schuhe. Nichts, was den Anblick stören würde, denn der umgebende Raum ist vollkommen in gellendes Weiß getaucht. Tolle Ästhetik, totale Kontraste: „The Perfect Human“ von Jørgen Leth hat alle Charakteristika eines frechen Werbeclips. Zwölf Minuten sieht man in dem 1967 gedrehten dänischen Kurzfilm die Ideale der Sixties in einem sambaswingenden Pop-Art-Bilderpotpourri vorüberziehen, Wohlstand und Hedonismus sind Garantie für ein besseres Leben. Manchmal räkelt sich auch eine elegant gekleidete junge Frau auf einer Sofalandschaft, weil zum Dasein als „perfect human“ immer mindestens zwei gehören.

33 Jahre später sitzen sich Leth und sein Kollege Lars von Trier gegenüber und schauen sich die Aufnahmen noch einmal an. Leth geht auf die Mitte sechzig zu, wirkt aber weiterhin wie ein Playboy aus vergangenen Zeiten. Der 20 Jahre jüngere von Trier sieht sehr viel verlebter aus. Auch dafür gibt es Gründe, von denen seine experimentelle Filmstudie „The Five Obstructions“ („Die fünf Hindernisse“) handelt. Nicht unmittelbar, mehr am Rande. Denn im Mittelpunkt steht eine seltsame Versuchsanordnung: Leth soll ein Remake von „The Perfect Human“ filmen, für das ihm von Trier allerdings mehrere Hindernisse in den Weg legen wird. Damit will von Trier herausfinden, wie sich beim Filmemachen Verbote und Beschränkungen auf die Kreativität auswirken. Die erste Aufgabe: Das Ganze soll mit unbekannten Schauspielern auf Kuba gedreht werden, keine Einstellung darf länger als zwölf Bilder dauern. Schnittfolgen im Sekundentakt – so zerhackt sind nicht mal Technovideos auf MTV.

Leth leidet unter den ihm auferlegten Zwängen, bekommt „The Perfect Human“ aber dennoch ein zweites Mal mit Bravour fertig gestellt. Elegant gleiten Close-ups und die Bewegungen der Schauspieler ineinander, überhaupt entwickelt sich aus dem irrsinnig schnellen Rhythmus der Bilder ein recht ansehnliches Porträt – Mambozauber und kubanische Lebensfreude inklusive, weil zum „perfect human“ immer auch Klischees und kulturelle Stereotype gehören. Zufrieden ist von Trier trotzdem nicht, als sich die beiden Regisseure endlich das Ergebnis auf Video anschauen. Stattdessen tobt er, weil Leth mit seiner formalen Verspieltheit und der hohen technischen Perfektion doch nur vor den drängenden Problemen ausgewichen ist: Wie kann man durch starre Grenzen den Panzer der Professionalität knacken, sodass darunter die individuelle Handschrift sichtbar wird? Bald wird klar, dass die Auseinandersetzung um Stilismen vor allem einer psychologischen Infragestellung des Regisseurs dient. In seiner Rolle als uneingeschränkter Herrscher über visuelle Dramaturgien und Gefühle, die er damit beim Betrachter auslöst, ist Leth einem Bilderexorzisten wie von Trier höchst verdächtig. Insofern ist sein gleich zu Beginn formuliertes Ansinnen womöglich ernst gemeint: „Ich möchte hier nichts bestimmen“, erklärt von Trier nicht ohne ein ironisches Lächeln. Tatsächlich geht es auch gar nicht um Powerplay und Wettstreit, sondern darum, mit den filmischen Mitteln zum Sprechen zu bringen, was für eine Verantwortung der Regisseur gegenüber seinem Material hat. Das ist eine Art Fortsetzung der Dogma-Philosophie als filming cure, bei der der Patient sich durch seine Fehler selbst bewusst werden soll.

Statt der Fehler sieht man trotzdem immer nur wunderbare Bilder. Nach der Pleite auf Kuba schickt von Trier seinen Kollegen zur Strafe nach Bombay, wo Leth die gleiche Szene in einem Armenviertel drehen muss. Als ihm auch dieser Film noch zu glatt gerät, verordnet von Trier zur Abschreckung eine Zeichentrickvariante, denn Leth mag keine Comics. Doch mit dem Team, das schon für Richard Linklaters „Waking Life“ gearbeitet hat, gelingt sogar dieses Cross-over mit blubbernden Grafiken, die wie LSD-Blasen zerplatzen. Als perfiden Höhepunkt lässt von Trier ihn danach einfach gewähren, sodass Leths vierter Versuch ohne jede Einschränkung quasi die eigenen Limits zum Thema hat. Die Folge: schicke Limousinen und nackte Frauen in den Edelhotels von Brüssel.

Dann ist von Trier an der Reihe. Um Leth zu zeigen, was er an seinem Film vermisst hat, schneidet er all das Material zusammen, das während der Dreharbeiten angefallen ist. Die Telefonate, die Zerknirschtheiten, der Frust am Set. So entsteht mit dem Making-of ein Resümee im Shortcut-Format, das den Regisseur hinter den Bildern sichtbar macht. Es ist ein holperiger Film, mit unbeholfenen Montagen, in nichts mit Leths ästhetisierten Beiträgen zu vergleichen. Man weiß am Ende auch nicht, ob er von Trier gefällt. Nur in einem ist man bei von Trier sicher: Es ist ein Film über das Filmemachen, und Leths Beiträge waren dafür unterhaltsame Skizzen.

„The Five Obstructions“. Regie: Lars von Trier und Jørgen Leth. Mit Lars von Trier und Jørgen Leth u. a., Dänemark/Schweiz/Belgien 2003, 90 Min.