Kinderarbeit für Wucherzinsen

Wie das 12-jährige Mädchen Narsamma arbeiten in Indien nach Schätzungen 450.000 Kinder in Schuldknechtschaft, um für transnationale Konzerne Baumwollsaat herzustellen. Von fünf Global Playern stellen sich nur zwei ihrer Verantwortung

von KATHARINA KOUFEN

Als der Regen ausblieb und die Ernte verdorrte, liehen sich Narsammas Eltern von einem Arbeitsvermittler 2.000 indische Rupien – das sind etwa 50 Euro. Das war 1998. Seitdem muss Narsamma auf einem Baumwollsaatfeld arbeiten, um den Kredit zu tilgen. Umgerechnet 19 Euro im Monat verdient die 12-Jährige inzwischen, am Anfang war es nur die Hälfte.

Wie Narsamma arbeiten in Indien rund 450.000 Kinder in der Baumwollsaatindustrie, hat eine Studie des Instituts Glocal Research and Consultancy Services (GRCS) aus Hyderabad ergeben. 95 Prozent von ihnen in Schuldknechtschaft: Ihre Eltern, meist arme Bauern aus den niederen Kasten, leihen sich Geld bei so genannten Arbeitsvermittlern und verleihen im Gegenzug ihre Kinder. Und weil die Gläubiger Wucherzinsen verlangen – 165 Prozent im Jahr oder 20 Prozent pro Woche sind keine Seltenheit – sind die 6- bis 14-Jährigen, zum größten Teil Mädchen, auf Jahre hin dem Arbeitsvermittler oder dem Besitzer des Saatgutbetriebs ausgeliefert.

Der Saatgutbetrieb, in dem Narsamma arbeitet, produziert auf einem Hektar die Baumwollsorte „Brahma“. Dieses hybride Saatgut entsteht durch die Kreuzung zweier Pflanzen mit unterschiedlichen Erbanlagen. Das Ergebnis ist ein Saatgut, das ertragreicher ist, aber steril. Das heißt: Anstatt aus dem Eigenanbau Saatgut für die nächste Aussaat zu gewinnen, müssen die Bauern jede Saison neue Ware beim Hersteller kaufen. Im Fall von Narsamma ist das die holländisch-britische Firma Unilever. Für sie produziert der Farmer, bei dem Narsamma arbeitet, Saatgut.

„Brahma“ wird von der indischen Unilever-Tochter Hindustan Lever Limited (HLL) für das Vierfache dessen verkauft, was die Zulieferer erhielten. „Aufgrund der geringen Erzeugerpreise ist der Einsatz von Kindern fast vorprogrammiert“, so die Studie. „Die Verwendung erwachsener und damit teurerer Arbeiter würde den Gewinn des lokalen Betriebs praktisch auf null senken.“

Die Herstellung von hybridem Saatgut ist arbeitsintensiv: Bei jedem Keim muss der eigene Samen entfernt und der fremde Samen aufgetragen werden. Die Kinder müssen sich dicht über die Pflanzen beugen, um die Blüten für die Kreuzung auszuwählen. Dabei, so die Studie, „nehmen sie über die Haut und die Atemwege große Mengen Agrogifte auf“. Auf den Baumwollfeldern werden besonders viele Pestizide eingesetzt. Auch während die Pflanzen gespritzt werden, müssten die Kinder weiterarbeiten, berichten die Autoren.

Sie arbeiten den ganzen Tag – laut der Studie im Sommer rund neun, im Winter elf bis zwölf Stunden täglich. Kinder, die von auswärts kommen und auf der Farm oft in leer stehenden Ställen untergebracht sind, arbeiten bis zu 13 Stunden am Tag.

Im Zuge der Recherche besuchten die Verfasser der Studie im Frühjahr letzten Jahres 22 kleine Zulieferbetriebe im Süden Indiens. Sie fanden heraus, dass dort Saatgut für fünf transnationale Konzerne und deren indische Tochterfirmen hergestellt wird: für Unilever, die amerikanische Firma Monsanto, die Schweizer Syngenta AG, die niederländische Advanta – und für den deutschen Bayer-Konzern.

Konfrontiert mit dem Vorwurf der Kinderarbeit, reagierten die Unternehmen unterschiedlich. Die Unilever Tochter HLL wies darauf hin, dass sie keinen direkten Kontakt zu den Saatgutfarmern habe. Die Lieferverträge würden von Zwischenhändlern ausgehandelt. Auch Advanta und Monsanto wiesen die Verantwortung für Kinderarbeit von sich.

Syngenta hingegen ging in die Offensive: „Wir möchten uns der Verantwortung stellen“, sagte Shantu Shataram, bei Syngenta für die Beziehung zu den Aktionären zuständig. In der laufenden Anbausaison hat die Schweizer Firma daher wie nach eigenen Angaben auch Bayer einen Passus in die Verträge mit den Zwischenhändlern aufgenommen, nach dem „keine Kinder beim Anbau des Saatguts eingesetzt werden“.