Alice Schwarzer zur WM: „Ohne Feminismus kein Frauenfußball!“

Fußballerin und sexy Frau sein zugleich geht nicht, sagt sie. Alice Schwarzer im Interview über schleimige Argumente zur Weiblichkeit und die neue Spaßgeneration von Frauen.

Hat jetzt auch gelernt, was Abseits ist: Alice Schwarzer Bild: dpa

taz: Frau Schwarzer, Hand aufs Herz: Was schauen Sie lieber, Männer- oder Frauenfußball?

Alice Schwarzer: Wenn überhaupt Fußball, dann nur Frauenfußball! Nicht, weil ich etwas gegen Männerfußball hätte. Ich interessiere mich nur einfach nicht für Fußball. Aber ich verstehe natürlich etwas von der symbolischen, der emotionalen Bedeutung von Fußball. Und auf der Ebene bin ich jetzt voll infiziert. Beim Spiel gegen die Nigerianerinnen habe ich in der zweiten Halbzeit doch tatsächlich mit angehaltenem Atem um ein deutsches Tor gezittert.

Denken Sie, dass der Erfolg des Frauenfußballs einen zivilisatorischen Fortschritt in der Fußballszene insgesamt auslösen kann?

Ich finde, dass alle Mädchen und Frauen, die Lust dazu haben, ganz einfach das gleiche Recht und die gleichen Chancen wie die Männer haben sollten, Fußball zu spielen. Deswegen müssen sie nicht gleich wieder die Guten vom Dienst sein und die Fußballwelt verändern.

Die Medien sind krass am Ball, die Stadien voller jubelnder Menschen. Ist diese Aufmerksamkeit für den Frauenfußball auch ein Erfolg der Frauenbewegung?

Leben und Beruf: Herausgeberin der Zeitschrift Emma, bekannteste Feministin der Bundesrepublik, Talkshowgast.

Lieblingssport? Spazierengehen.

LieblingssportlerIn? Aktuell Nadine Angerer.

Ist Formel-1-Autorennen ein Sport? Wenn Ellen Lohr fahren würde: ja.

Hat sie etwas vom deutschen Fußballteam gelernt? Was ein Abseits ist.

Welchen Ratschlag würde sie jungen Fußballerinnen geben? Üben, üben, üben. Aber den Spaß dabei nicht vergessen.

Auch? Ausschließlich! Ohne Feminismus kein Vaterschaftsurlaub und kein Frauenfußball! Der Fußball ist schließlich eine Männerdomäne par excellence, so wie die DAX-Vorstände. Männer waren im Fußball viel zu lange unter sich – sie feiern sich, besaufen sich. Frauen wurden noch in den fünfziger Jahren von der Polizei vom Fußballfeld verjagt. Und der DFB war sich damals nicht zu blöd, ein regelrechtes Fußballverbot für Frauen zu erlassen. Sein Argument: „Die weibliche Anmut, Körper und Seele“ würden sonst „unweigerlich Schaden erleiden“.

Mit der öffentlichen Aufmerksamkeit kam auch die Debatte um die Inszenierung von Weiblichkeit. Wundert Sie das?

Überhaupt nicht. Dieses schleimige Gerede von der sogenannten Weiblichkeit ist doch nur wieder eine Spaßbremse. Erst dürfen wir nicht spielen, weil wir sonst unsere „Weiblichkeit“ verlieren. Ich wüsste übrigens gern mal, was das ist. Sind die Locken von Bajramaj weiblich – die Grübchen von Angerer aber unweiblich? Und jetzt dürfen wir zwar spielen, sollen aber schön „weiblich“ bleiben. So ein Quatsch! Als könnte Frau, wenn sie gut Fußball spielt, sich auch noch um den Sitz ihrer Locken oder den Schwung ihrer Hüften kümmern.

Die Spielerinnen scheinen sich in zwei Kategorien zu teilen. Die einen sagen, es ginge nur um eine gute fußballerische Leistung, die anderen möchten gut sein, zugleich auch noch gut aussehen. Wie erklären Sie sich das?

Das ist wie bei den Polizistinnen. Denen gucken auffallend häufig lange blonde Haare unter der Mütze vor. Das soll wohl heißen: Ich bin zwar Polizistin, aber dennoch eine Frau. Sicher, ich verstehe das. Frauen, die in Männerdomänen eindringen, spricht man die „Weiblichkeit“ ab und damit das Begehrtwerden. Der Druck ist groß. Manche Frauen pfeifen dennoch drauf. Was vernünftig ist. Andere wiederum wollen beides hinkriegen: gute Fußballerinnen sein und sexy Frauen, Subjekt und Objekt zugleich. Was gefährlich ist. Denn vermutlich bleibt da eines von beiden auf der Strecke.

Ist es nicht eher eine Generationenfrage als ein Ausdruck der sexuellen Orientierung?

Ja, es ist eine Generationenfrage, weil die Zeiten sich geändert haben. Je erlaubter es für Frauen ist, Fußball zu spielen, umso geringer der Rollenbruch, wenn sie es tun – und umso vielfältiger die Frauenbilder und die Lust im Stadion. Bei Spielerinnen wie Fans.

Und wenn ja, was sagt uns das über die neue Generation von Frauen aus: Ist sie weniger feministisch?

Die Töchter der Emanzipation können endlich einfach leben, was vor zehn, zwanzig Jahren noch als utopisch galt. Sie brauchen also nicht mehr darüber zu reden.

Sehen Sie in dieser Haltung nicht auch eine Gefahr?

Der Vorteil für Fußballerinnen ist zurzeit, dass sie noch einen Exotenstatus haben, also besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Gefahr ist, dass sie in dieser Sonderrolle verharren oder gar einen „anderen“, einen sogenannten weiblichen Fußball spielen. Fußball ist Fußball, und der ist gut oder schlecht. Unabhängig davon, ob er von einem männlichen oder von einem weiblichen Fuß getreten wird. Auch wenn der bisher sehr „männliche“ Stil vielleicht nicht zuletzt dank der Frauen „menschlicher“ wird.

Sie beobachten seit Jahren auch die internationalen Frauenbewegungen. Welche Rolle spielt hier Sport?

Feministisch gesehen ist der Sport, vor allem der „Männersport“, ein Sprung über die sogenannte dritte Hürde. Die erste Hürde auf dem Weg zur Gleichberechtigung waren Bildung und Wissen, das haben wir jetzt, mehr als die Jungs. Die zweite Hürde sind Besitz und Geld, da sind wir auf dem Sprung. Die dritte Hürde ist Kraft und Stärke: Die nehmen die Frauen gerade via Sport. Genau darum waren die Fußballerinnen in Emma schon immer Thema, selbst als die meisten Feministinnen Fußball noch doof fanden. Anno 1998 hat Emma sogar zusammen mit Fußballerinnen und Sportfunktionärinnen eine regelrechte Kampagne ausgeheckt: „Die Hälfte vom Ball für die Frauen!“ Das hat durchaus was gebracht.

Zurück zum aktuellen Turnier, Frau Schwarzer: Wer wird Weltmeisterin?

Ach, ich finde natürlich auch Marta toll … Aber diesmal sollen noch mal die Unseren den Titel holen! Danach freue ich mich auch über den Sieg der anderen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.