„Man muss schnell sein“

David Cohn (26) ist Absolvent der Columbia School of Journalism und treibende Kraft im Citizen Journalism in den USA. Bevor er dazu kam, schrieb er als freier Reporter vor allem über Technologie-Themen, unter anderem für das Technologie-Magazin Wired und die New York Times. Gemeinsam mit Columbia-Professor Jay Rosen startete Cohn 2006 das Projekt NewAssignment.net. Dort sollten schreibwillige und kompetente Mitmacher als Amateurjournalisten ihre Expertise aus Beruf und Hobby einbringen. Es entstand ein Dossier über das Phänomen selbst, „Crowdsourcing“ (angelehnt an Outsourcing, das Auslagern an Unternehmen), das Einbinden der Massen, zumeist Amateure, in Produktionsprozesse – ermöglicht übers Internet.Mit Spot.us verfolgt Cohn einen anderen Ansatz: „Crowd-Funding“. Jeder kann Themen als Pitch auf der Web-Plattform vorschlagen. Die „Crowd“ soll Recherchen und Beiträge durch Kleinspenden ermöglichen. Aktuell wirbt Spot.us etwa um Spenden für eine Videodoku zum Tod eines jungen Mannes durch eine Polizeikugel, eine Recherche über Schulschließungen und eine Reportage über das Arm-Reich-Gefälle in San Francisco. jmi

David Cohn, Star des Citizen Journalism in den USA, versucht mit seiner Web-Plattform Spot.us, Spenden als Zukunftsmodell des Journalismus zu etablieren. Zeitungsverlage, sagt er, verstehen den Wandel nicht.

taz: Sind Spenden das neue Geschäftsmodell für den Journalismus?

David Cohn: Ich würde nicht so weit gehen zu behaupten, es bleibt kein anderes Geschäftsmodell übrig. Aber Online-Werbung allein ist ja auch sehr schwierig. Hier in den USA greifen wir auf eine lange Tradition im Spenden für den Journalismus zuück; National Public Radio ist so ein Beispiel. Sie sammeln Spenden, werfen aber alles Geld auf einen Haufen, während man bei Spot.us speziell für die Geschichten spenden kann, die man fördern will. Ich glaube aber fest daran, dass es noch andere Geschäftsmodelle gibt. Spot.us ist nicht der einzige Weg.

taz: Trotzdem gibt es ja noch den konventionellen Journalismus. Die LA Times meldet sogar, dass ihre Online-Einnahmen so hoch sind, dass sie Ihre Gesamtredaktion damit finanzieren kann. Was hat dich denn angetrieben, etwas ganz Neues auszuprobieren?

Als Reporter über Technologie-Themen habe ich viel darüber nachgedacht, wie Technologie auf den Journalismus selbst angewandt werden kann, wie sie das journalistische Handwerk verbessern kann. Warum ich heute nicht für eine traditionelle Institution wie die LA Times arbeite, liegt unterm Strich daran– und das mag scharf klingen, aber es ist meine ehrliche Einschätzung: diese Institutionen sind gefangen und gelähmt in ihrer Bürokratie. Gewisse Redaktionsstrukturen sind sicher gut und notwendig. Aber wenn es darum geht, etwas Neues im Web zu wagen, wenn es um Innovationen geht, dann muss man in der Lage sein, diese Bürokratien zu überwinden, und zwar so schnell wie möglich. Man muss heute Entscheidungen treffen, und sie am nächsten Tag umsetzen. Man muss schnell sein.

taz: Was für Storys kommen denn dabei heraus, bei dem, was du „crowd-funded journalism“ nennst?

Zurzeit ist Spot.us ja noch auf die San Francisco Bay Area beschränkt, auch weil die Stiftung, die uns fördert, den Lokaljournalismus besonders unterstützen will. Wir wollen das aber auf andere Regionen ausdehnen. Auf die aktuellste Geschichte bin ich besonders stolz: Eine Reihe von Versäumnissen beim Oakland Police Department. Da haben fast 45 Leute, die meisten aus Oakland, jeweils im Schnitt 20 Dollar gespendet. Die Recherche läuft jetzt. In der Zwischenzeit wurde ein junger Mann von einem Polizisten erschossen, was zu Protesten und Ausschreitungen in Oakland führte. Das ist natürlich nichts Gutes, aber es zeigt doch, dass diese Recherche wichtig ist. Ich glaube, damit ein Pitch (so heißen die vorgeschlagenen Recherchen, d. Red.) auf Spot.us Erfolg hat, muss er einen Nutzen für die Öffentlichkeit haben: Themen wie Bildung oder Verantwortlichkeit von Polizei oder Beamten, oder Umwelt- und Gesundheitsthemen. Ist das Wasser, das wir trinken, sauber? Das sind die Themen, von denen ich erwarte, das für sie gespendet wird, weil die Leute etwas davon haben wollen, wenn wir sie um Spenden bitten.

taz: Und das funktioniert?

Ja. Zwar bekommen wir damit nicht dasPortrait eines Superstars finanziert –damit würden wir nicht weit kommen. Aber dafür sind die Leute, wenn es sie betrifft, eben eher bereit, hier und da fünf oder zehn Dollar zu spenden. Das sind natürlich nicht zwangsläufig die Geschichten, die im Netz viele Klicks bringen, also Werbeeinnahmen.

taz: Bei deinem vorigen Projekt, New Assignment, scheint es nicht so gut funktioniert zu haben. Was waren die Unterschiede?

Es gibt einen zentralen Unterschied: Bei New Assignment haben wir mit Crowd Sourcing in Bezug auf Inhalte experimentiert. Wir haben also Leute gesucht, die Beiträge spenden, also Zeit und Expertise. Bei Spot.us haben wir aus der Erfahrung mit New Assignment gelernt. Wir bekamen Feedback von Leuten, die gerne auf sinnvolle Weise zu gutem Journalismus beitragen wollen, aber nicht selbst schreiben wollen. Auf Spot.us können sie Geld spenden statt Inhalte. Außerdem war New Assignment mehr akademischer Thinktank als Start-up, obwohl wir natürlich ein echtes Projekt gestartet haben, gemeinsam mit dem Magazin Wired. Dieses erste Projekt gilt gemeinhin als gescheitert, aber zuletzt haben wir etwas Ähnliches gemeinsam mit der Huffington Post ausprobiert: „Off the bus“. Das Projekt, bei dem Bürgerjournalisten über den US-Wahlkampf „von unten“ berichtet haben, wird weit und breit als Erfolg betrachtet. Es geht also darum, neue Methoden zu entdecken, Prinzipien und Praktiken dafür, wie Crowdsourcing im Journalismus funktioniert.

Vom 17. bis 19. April 2009 feiert die taz ihren 30. Geburtstag mit dem Kongress ?Tu was! Freiheit & Utopie im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Während drei Tagen wird für eine schönere und bessere Welt diskutiert, referiert und von taz-Autoren vorgelesen: Wie wollen wir zusammen leben? Eine Welt – Gerechtigkeit global! Bildung ist ein Bürgerrecht – bloß welche Bildung meinen wir? Menschenrechte und ihre Abgründe! Darüber und mehr wollen wir mit Ihnen und den eingeladenen Referenten in Podiumsdiskussionen, Vorträgen und Workshops debattieren. David Cohn ist einer der geladenen Referenten – wir freuen uns, wenn Sie im Publikum sitzen werden: Tickets gibt es ab 4. Februar 2009 über www. 30jahre.taz.de oder im taz-Shop in der Rudi-Dutschke-Straße 23.

taz: Und solche Projekte braucht es mehr, schreibst du in deinem Blog. Von 10 000 neuen Startups ist da die Rede.

... und von denen werden 8000 erfolglos sein, vielleicht ist Spot.us darunter, aber 1998 werden zumindest ein paar Jahre laufen, und zwei oder drei werden zum digitalen Äquivalent der New York Times werden. Das soll nicht heißen, dass die Times nicht auch Innovator sein kann, aber viele Medien stellen sich aufs Internet nicht richtig ein. Dabei ist das eine richtige Umwälzung. Ich will herausfinden, wie man sicherstellen kann, dass Journalismus weiter Erfolg hat, auch wenn herkömmliche Institutionen sich dem Wandel nicht anpassen. Denn wenn der Journalismus sich nicht entwickelt, während um ihn herum die Erde bebt, dann wird er irgendwann durch die Risse hindurchfallen.

Das Interview führte Jan Michael Ihl