So finden Sie Ihren Abgeordneten

VON ADRIENNE WOLTERSDORF

1. Sie haben keine Ahnung, wer sie im Europaparlament vertritt? Kein Wunder, denn Sie werden auch nicht von einem bestimmten Abgeordneten vertreten. Weder gibt es fest definierte Wahlbezirke, noch kann ein Kandidat einer Partei mehr Stimmen holen als seine Parteigenossen. Vielmehr werden die KandidatInnen von SPD, Grünen, PDS und FDP per Bundesliste gewählt. Nur CDU und CSU stellen Landeslisten auf. Wer schließlich EU-Abgeordneter wird, hatte einen guten Listenplatz.

2. Wie finde ich heraus, wer für meine Region im Europäischen Parlament sitzt? Die Abgeordneten teilen sich die Bundesrepublik in so genannte „Betreuungsregionen“ auf, die sie dann mehr oder weniger regelmäßig bereisen. Welcher EU-Abgeordnete Ihre Region betreut erfahren Sie zum Beispiel unter www.europarl.de, wo Sie nach Bundesländern suchen können.

3. Kann ein Europaabgeordneter überhaupt etwas für mich tun? Natürlich können Abgeordnete die Erfahrungen aus ihren Gesprächen im „Wahlkreis“, zum Beispiel Klagen über die unsinnige Normierung von Feuerwehrhelmen bei ihrer Arbeit in Straßburg einfließen lassen. Da sie aber Gesetze für ganz Europa machen, können Probleme aus ihrer Betreuungsregion nur bedingt berücksichtigt werden.

4. Müssen sich EU-Abgeordnete regelmäßig in ihrer Region blicken lassen? Anders als bei Bundestagsabgeordneten gibt es für die Europarlamentarier keine Präsenzpflicht in ihrer Region. So kommt es, dass sie unterschiedlich intensiv durch Schulen und Betriebe ihrer Region touren. Die Häufigkeit des Auftretens „zu Hause“ sagt nichts über die Qualität der geleisteten Arbeit im Europaparlament aus. Denn ein EU-Abgeordneter aus Bochum kann im Ausschuss für konstitutionelle Fragen arbeiten und daher mit seiner Betreuungsregion vorerst wenig „Berührungspunkte“ haben.

5. Wie viel Macht hat mein EU-Abgeordneter? Bei rund 80 Prozent der EU-Gesetzgebung ist das Europäische Parlament, kurz EP, formell gleichberechtigter Partner des mächtigen EU-Ministerrats. Gleichzeitig wandert immer mehr Entscheidungsmacht von der Bundesebene nach Brüssel. So basieren rund 90 Prozent der im Bundestag gemachten, wirtschaftlich relevanten Gesetze, auf den Entscheidungen aus Brüssel und Straßburg. Es gibt daher einen stetigen Zuwachs an Kompetenz für die europäischen Abgeordneten, obwohl Kritiker nach wie vor beklagen, dass das EU-Parlament noch viel zu häufig im Schatten der Kommission und des Ministerrates steht.

6. Wo arbeiten die EU-Abgeordneten die meiste Zeit? Die Abgeordneten des EP tagen eine Woche pro Monat in Straßburg. Weitere Sitzungen finden in Brüssel statt. Anders als Bundestagsabgeordnete mit ihren 22 Sitzungswochen, tagen die EU-Abgeordneten 42 Wochen im Jahr. Für ihren „Wahlkreis“ bleiben den Europarlamentariern also nur zehn Wochen pro Jahr. Der „Wanderzirkus“ ist professionell organisiert, mit kleinen Arbeitswaben in Brüssel und Straßburg. Darin gibt es für jeden Abgeordneten eine kleine Garderobe, ein WC, ein Doppelschreibtisch für zwei Personen und ein kajütenartiges Klappsofa. Zu den Sitzungswochen packen die Abgeordneten ihre Arbeitsunterlagen in ihre Blechcontainer, die dann vom Parlamentsdienst hin und her transportiert werden.

7. Sind EU-Kandidaten abgeschobene Polit-Rentner auf Suche nach Versorgungsposten? Früher haben die Parteien – und auch die Abgeordneten selbst – ihr Mandat nicht immer allzu ernst genommen und nominierten schon mal schillernde Persönlichkeiten wie Reinhold Messner. Doch mit der wachsenden Machtfülle des EP begreifen die Parteien, dass sie Europrofis für Brüssel brauchen. Deshalb stehen in diesem Jahr erstmals deutlich mehr profilierte deutsche KandidatInnen zur Wahl.

8. Müssen EU-Abgeordnete eigentlich Fremdsprachen beherrschen? Ein polyglotter Globetrotter muss niemand sein, der EU-Politik machen möchte. Eigentlich reicht es, wenn Abgeordnete nur ihre Muttersprache sprechen und überhaupt noch nie außerhalb Deutschlands waren. Denn sowohl Parlamentarier als auch Besucher können die Debatten des EU-Parlaments in ihrer Sprache hören. Dafür sorgt ein gewaltiger Dolmetscher-Stab, der jedes Wort in zwanzig Sprachen übersetzt. Bei wortreicheren Sprachen führt das dazu, dass ein Grüppchen Abgeordneter im Plenum zum Beispiel erst etwas später lacht als der Rest.

9. Hat ein EU-Abgeordneter Fraktionszwang? Nein, obwohl die große Mehrheit der Abgeordneten einer der gegenwärtig sieben Fraktionen des EP angehören. Eine Fraktion muss multinational sein und eine bestimmte Mindestzahl von Mitgliedern aus mehreren Ländern umfassen. Die meisten Fraktionen sind an politische Parteien gebunden, die auf europäischer Ebene organisiert sind. Bei Abstimmungen im Parlament sind jedoch persönliche Überzeugungen wichtiger als die Parteizugehörigkeit. Was natürlich auch damit zusammenhängt, dass es keine europäische Regierung gibt, die sich auf eine Mehrheit im Parlament verlassen können muss.

10. Wählt María Gonzáles in Madrid am Sonntag unter den gleichen Bedingungen wie ich in Oberursel? Die Abgeordneten des Europaparlaments werden seit 1979 alle fünf Jahre zwar in allgemeinen und direkten Wahlen gewählt, aber in jedem Mitgliedsland gibt es dazu eine eigene Wahlordnung. Selbstverständlich dürfen EU-Bürger überall ab 18 geheim wählen, aber in Belgien, Luxemburg und Griechenland zum Beispiel herrscht im Gegensatz zu Deutschland Wahlpflicht.

11. Wie viel verdienen die Abgeordneten des Europaparlaments? Bislang erhalten die Abgeordneten dieselben Diäten wie die nationalen Parlamentarier ihrer Heimatländer. Das führt innerhalb des EP zu erheblichen Einkommensunterschieden, insbesondere zu den Abgeordneten der osteuropäischen Staaten. Die Diäten für die 99 deutschen EU-Abgeordneten zahlt die Bundesrepublik. Seit langem verhandeln EU-Parlament und Rat über ein gemeinsames Statut, dass einheitliche Diäten für alle Abgeordneten einführen soll.