Die Chancen des kulturellen Unterschieds

Lebt es sich leichter als Türke in Berlin oder als Pakistani in Bradford? Eine nun vorgestellte Studie lässt die Antwort offen. Entscheidend, so die Autoren, sei vielmehr, wie weit die Migranten integriert seien. Die Pakistanis sind das zumindest auf dem Papier besser. Die meisten haben einen britischen Pass

VON SABINE AM ORDE

Glück ist etwas ganz Individuelles, das sich nicht mit wissenschaftlichen Kriterien erfassen lässt. Das meinen jedenfalls die JournalistInnen Roger Boyes und Dorte Hunke. Deshalb haben die beiden in ihrer Studie, die den schönen Titel „Lebt es sich leichter als Türke in Berlin oder als Pakistani in Bradford?“ trägt und von der Deutsch-Britischen Stiftung in Auftrag gegeben wurde, gleich ganz auf wissenschaftlichen Maßstäbe verzichtet. In vielen persönlichen Gesprächen in beiden Städten haben sie Momentaufnahmen der zweiten und dritten Einwandergeneration gesammelt. Dabei stand für sie neben dem wirtschaftlichen Erfolg die Frage im Vordergrund: Wie viel staatliches Engagement und wie viel individuelle Eigenleistung braucht Integration? Gestern wurde die Studie im Kreuzberg-Museum vorgestellt.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ihre Ursprungsfrage haben die beiden AutorInnen nicht beantwortet. Noch vor zehn Jahren, so ihre Einschätzung, hätte man klar auf die Pakistanis gesetzt. Doch unterdessen hat es im nordenglischen Bradford Riots gegeben, während in Kreuzberg alles ruhig geblieben ist. Wirklich erklären konnten auch das die beiden AutorInnen nicht. Doch für Roger Boyes, Deutschlandkorrespondent der London Times, war zumindest klar: „Kreuzberg could also use a riot.“ Denn erst nach den Ausschreitungen hätte sich die englische Gesellschaft wirklich der Fragen der Integration gestellt.

Generell überwiegen die Parallelen zwischen beiden Communities – zeitlich betrachtet hat die Entwicklung im nordenglischen Bradford nur früher eingesetzt. Pakistanis wie Türken kamen aus ländlichen Gebieten in die westeuropäischen Städte, wo die Industrie niedrig qualifizierte Arbeitskräfte suchte. Als der Industrie die Puste ausging, wurde die Anwerbung eingeschränkt, der Familiennachzug setzte ein. Die Einwanderer ließen sich in Vierteln nieder, wo die Mieten billig waren und es schnell eine migrantische Infrastruktur gab.

Anders als in Deutschland aber erhielten die Pakistanis fast automatisch die britische Staatsbürgerschaft. Viele Türken haben heute noch immer keinen deutschen Pass. Die beiden Autoren wollen das nicht überbewerten. „Die Staatsbürgerschaft löst nicht alle Probleme“, sagte Huneke. Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening, der zur Präsentation geladen war, widersprach: „Es macht viel aus, wenn in einem Bezirk 20 oder 25 Prozent der Bewohner nicht wählen dürfen.“ Und es macht auch etwas aus, könnte man hinzufügen, wenn es, wie in Bradford der Fall, einen pakistanischen Bürgermeister gibt.

Heute ist in beiden Städten die Arbeitslosigkeit unter Migranten hoch, das wirtschaftliche Potenzial der Migrantencommunities, so heißt es in der Studie, wird weder in Bradford noch in Berlin genutzt. Auch das Bild der Minderheiten entspricht in beiden Ländern nicht der vielfältigen Realität: In Kreuzberg ist es vom türkischen Gemüsehändler geprägt, in Bradford vom pakistanischen Eckladenbesitzer. Erfolgsgeschichten, die es durchaus gibt, kommen nicht vor.

Um nach Hindernissen für Integration zu suchen, splitteten die beiden Autoren die Migranten in drei Sozialtypen auf, ein „kühnes Unterfangen“, wie Huneke anmerkte: Der Aufsteiger ist aus der traditionellen Migrantenstruktur ausgebrochen, hat sich das Bildungssystem zunutze gemacht und es wirtschaftlich geschafft. „Er hat sich die Unterschiede der beiden Kulturen zunutze gemacht.“ Ein Beispiel: Omar Khan, der in Bradford ein sehr erfolgreiches Curry-Restaurant betreibt – „mit einer Cross-over-Küche für eine Cross-over-Kundschaft“. Als Hindernisse für die Aufsteiger haben die AutorInnen vor allem das Misstrauen der Banken ausgemacht, die Migranten nicht gerne Kredite geben. „Ziel der Integrationspolitik muss es sein, das abzubauen.“

Zweiter Typ ist der Traditionalist. Dazu gehören laut Studie der Kreuzberger Gemüsehändler und der Corner-Shop-Besitzer in Bradford. Sie profitieren, so Huneke, von persönlichen und beruflichen Kontakten der Eltern. „Er hat sich arrangiert, ist zufrieden und fühlt sich nicht blockiert“, sagt die Journalistin und sieht keinen Handlungsbedarf.

Ganz anders sieht es bei den Außenseitern aus, dem dritten Sozialtypus. Er scheitert an den kulturellen Unterschieden, sucht sich außerhalb der Gesellschaft Vorbilder und rutscht nicht selten in Arbeitslosigkeit und Kriminalität ab. Hier attestierte Huneke dringenden Handlungsbedarf, konkrete Anregungen aber gab sie nicht.