Die arabische Welt
: Reformen und Liebe

Der Journalist Michael Lüders hat ein kompetentes Buch über die arabische Welt geschrieben. Ein Buch, das die Regierungen der arabischen Länder nicht schont: „Die Regierungen in der arabischen Welt organisieren nicht viel mehr als den Diebstahl an der eigenen Bevölkerung“, schreibt Lüders. „Nach außen ist dieses System geradezu hermetisch abgeschlossen. Wer nicht durch Putsch oder Geburt zur Elite gehört, hat so gut wie keine Chance auf den sozialen Aufstieg.“ Lüders’ Buch ist eine kenntnisreiche Beschreibung einer politisch und sozial desolaten Welt, die im Westen immer mehr als Club der Verlierer gehandelt wird. Als Gemeinschaft von Losern, die Israel zum Sündenbock erklärt hat und damit von ihrer eigenen Unfähigkeit ablenkt. Voller islamischer Fanatiker, die aufgrund des Gefühls ständiger Demütigung durch Israel und den Westen insgesamt Hass, Wut, und Rachegelüste hegen. Michael Lüders benennt diese Festlegungen und beschönigt nicht: „Selbst wenn es den jüdischen Staat nicht gäbe, wäre die Misere der arabischen Welt, ihre Stagnation und fehlende Kreativität, ihre Repression und Gewalttätigkeit dieselbe.“

Doch im Gegensatz zu anderen unerbittlichen Kritikern hinterfragt und analysiert er die Perspektivlosigkeit der Gesellschaften, vor allem aber diskutiert er sachlich und differenziert nach vorn. Dazu gehört, dass europäische Regierungen, anstatt autoritäre Regime wie Tunesien aufzuwerten, Reformprozesse in der Region aktiv begleiten könnten. „Nötigenfalls an den Regierungen vorbei und mit Hilfe von Nichtregierungsorganisationen“, schreibt Lüders. Vor allem steht die wichtigste Aufgabe an: „Investitionen in das katastrophale Bildungswesen der arabisch-islamischen Welt, von der Grundschule bis zur Universität“. Darin sieht Lüders einen wichtigen Beitrag zur „Entradikalisierung“ der islamistischen Bewegungen, die ihr Fußvolk aus den armen, ungebildeten Schichten rekrutieren.

Lüders nimmt die Menschen in der arabischen Welt mit ihren Bedürfnissen nach Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand ernst: „Die Bereitschaft zur Versöhnung ist groß, auch unter palästinensischen Flüchtlingen. Die Verachtung, die viele Israelis gegenüber den Arabern empfinden, ist mir auf arabischer Seite mit Blick auf Israel deutlich weniger begegnet.“

Verachtung und Überheblichkeit ist eine immer wiederkehrende Haltung im Westen gegenüber den stagnierenden arabischen Gesellschaften. Lüders dagegen bekennt sich zu seiner Faszination zuerst für Karl Mays Kara Ben Nemsi und dann für den Orient. Er bezeichnet sich selbst als Romantiker. Damit mag er sich allen trockenen, klaren Rationalisten als Träumer verdächtig machen. Doch so ungewohnt dieses Eingeständnis für einen kritischen Beobachter sein mag, so ehrlich ist es. Eine gewisse Anziehung, Faszination ist letztlich ausschlaggebend für das Einlassen auf ein Thema, ein Land, eine Liebe. Warum sollte sich Lüders mit so viel Perspektivlosigkeit, Gewalt, Terror immer neu auseinander setzen?

Der romantischen Verklärung kann man Lüders jedenfalls nicht bezichtigen. Allenfalls wenn er in der arabischen Welt ein Gegenstück zu unserer Konsumgesellschaft zu finden glaubt: „Ich glaube, dass genau darin die ungeheure Provokation des Islam und der arabischen Welt liegt. Dieser aus unserer Sicht rückständige und fanatische Teil der Welt hat etwas, wonach auch wir uns sehnen, das uns aber längst abhanden gekommen ist. … dieses Schwerelose, diesen anderen Umgang mit Zeit, mit Schicksal, mit sich selbst, weil nicht das gesamte Leben den Gesetzen der Ökonomie unterworfen ist.“ Mag sein, dass dieses Andere noch manchmal in den Souks von Marrakesch, einem Kaffeehaus von Damaskus oder in einer algerischen Oase aufscheint, aber längst ist auch in der arabischen Welt die Moderne eingezogen. Mit dem Auflösen der alten Strukturen macht sich gerade dort ein ungebremster Materialismus breit. „Wir sind reich an materiellen Werten, doch arm an Menschlichkeit. Im Orient ist es genau umgedreht“, behauptet Lüders. So ein Pauschalurteil passt nicht zu seinen sonstigen differenzierten Einschätzungen. EDITH KRESTA

Michael Lüders: „Im Herzen Arabiens. Stolz und Leidenschaft – Begegnungen mit einer zerrissenen Kultur“. Herder-Verlag, Freiburg 2004, 224 Seiten, 19,90 Euro