Heilende Flossen

ZOOS Nächste Woche wird in Nürnberg die neue "Delfin-Lagune" eröffnet. Als Begründung dient die unsinnige "Delfintherapie".

Der kurze Kontakt eines behinderten Kindes mit einem Delfin verkauft vor allem den Eltern Hoffnung. Bild: reuters

Die Haltung von Delfinen in Zoos und Freizeitparks wird von Tierschützern seit je heftig kritisiert: Die hochsensiblen Tiere werden in viel zu kleinen Betonbecken zusammengepfercht, sie leiden der qualvollen Enge, des Lärms von Umwälzpumpen, des Trubels bei Showvorführungen vor johlendem Publikum wegen unter enormem Stress. Die Folge sind haltungsbedingte Funktionsstörungen, psychische und körperliche Erkrankungen. Vor allem der Nürnberger Tiergarten steht insofern in massiver Kritik: Seit der Eröffnung des zooeigenen "Delfinariums" im Jahr 1971 starben von 23 in freier Wildbahn gefangenen Delfinen 15 vorzeitig, von 21 "Nachzüchtungen" kamen 17 noch im Mutterleib oder kurz nach der Geburt zu Tode.

Zahlreiche Zoos deutschland- und europaweit haben in den vergangenen Jahren angesichts der Unmöglichkeit, Delfine in Gefangenschaft auch nur einigermaßen artgerecht zu halten, ihre Delfinarien geschlossen. In einigen Ländern wie England gilt inzwischen sogar ein generelles Haltungsverbot für Delfine.

Anstatt diesem Beispiel zu folgen und das - auch wirtschaftlich unrentable - Delfinarium aufzulösen, ging der Nürnberger Tiergarten in die entgegengesetzte Richtung: Man plante ein größeres und publikumsfreundlicheres Betonbecken, bezeichnete es schönfärberisch als "Lagune" und setzte es gegen jedes noch so zwingende Argument seitens der mit Delfinen befassten Fachwissenschaft durch; Einwände von Tierschützern blieben ohnehin unbeachtet.

Die neue Freiluft-"Lagune", gleichwohl mit 1.650 Quadratmetern Wasserfläche etwa dreimal so groß wie das bisherige Becken, bietet den Delfinen keine substanzielle Verbesserung, zumal der Tierbestand von bislang zwei auf vierzehn aufgestockt werden soll. Nach wie vor werden die Delfine in einem - gemessen an ihren Bedürfnissen - lachhaft kleinen und mit künstlich hergestelltem "Meerwasser" befüllten Betonbecken gehalten, das zudem stark fäkalienbelastet ist und insofern massiv gechlort werden muss: Entzündungen von Haut und Augen sind die unausbleibliche Folge.

Ein wesentliches Argument des Nürnberger Tiergartens für die Errichtung der 24 Millionen Euro teueren "Delfin-Lagune" war die vorgebliche Möglichkeit, künftig in größerem Maßstab "Delfintherapie" für behinderte oder entwicklungsverzögerte Kinder anbieten zu können. Einwände aus der Fachwissenschaft, die die "Delfintherapie" als völlig unsinniges Pseudotherapieverfahren auswiesen, das nicht nur keinerlei Hilfe für die betroffenen Kinder bringt, sondern diese ungeahntem Risiko beispielsweise durch das fäkalienbelastete Wasser aussetzt, wurden zur Seite gewischt. Tatsächlich ist längst erwiesen, dass der kurze Kontakt zu Delfinen bei Kindern mit Autismus, Downsyndrom oder geistiger Behinderung über den momentanen Erlebniswert hinaus gar nichts bewirkt. Tiere können therapeutisch durchaus hilfreich sein, allerdings nur, wenn der Kontakt zu ihnen als tragfähige persönliche Beziehung angelegt ist. Therapeutisch kaschierte Delfinshows sind dazu völlig ungeeignet. Führende Behindertenverbände haben sich insofern entschieden gegen Delfintherapie ausgesprochen, die den Eltern für viel Geld nichts als unerfüllbare Hoffnungen verkauft. Die Befürworter der Lagune, von Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly über Markus Söder, Günther Beckstein und Renate Schmidt hin zu Extorwart Andreas Köpke, haben von wissenschaftlicher Cetologie (Wal- und Delfinforschung) vermutlich genauso viel Ahnung wie von Behindertenpädagogik.

Die "Delfin-Lagune" des Nürnberger Tiergartens ist nun fertiggestellt. Zum Nachteil behinderter Kinder, die mit einer unsinnigen Therapiemethode malträtiert werden, die obendrein Geld verschlingt, das für sinnvolle Hilfe aufgewandt werden könnte; und zum Nachteil der eingesperrten Delfine, die ein unwürdiges und leidvolles Leben in einem trostlosen Betonbecken zu fristen genötigt werden.

Im Übrigen hat der Tiergarten bis heute nicht erklärt, was mit den bis zu vierzehn in die Lagune eingesetzten Delfinen in der kalten Jahreszeit geschehen soll, in der sie nicht unter freiem Himmel gehalten werden können. Nürnberg liegt bekanntlich nicht in der Karibik. Werden sie dann quer durch halb Europa gekarrt und irgendwo ausgelagert, um im Frühjahr wieder nach Nürnberg zurückgeholt zu werden? Oder sollen sie im Winter im "alten Delfinarium" zwischengelagert werden, das für die bisher gehaltenen zwei Delfine schon viel zu klein war?

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