Gottes garstige Gehsteigvertreter

Vor der Klinik wartete ein junger Mann mit einem Plastikembryo, das Telefon wurde angezapft, Frauen wurden zu Gebeten genötigt, und über dem Operationssaal richtete man eine 24-Stunden-Kapelle ein: Wie militante Abtreibungsgegner die Wiener Lucina-Klinik in den Ruin trieben

Mehrmals wurden Bombendrohungen gegen die Klinik ausgesprochen

AUS WIEN RALF LEONHARD

Frau F. wollte mit ihren 40 Jahren kein Kind mehr bekommen. Als sie dennoch schwanger wurde, vereinbarte sie einen Termin in der privaten Wiener Lucina-Klinik, die auf Abtreibungen spezialisiert ist. Am Tag, an dem der Eingriff vorgenommen werden sollte, fuhr Frau F. mit dem Auto vor. „Kaum dass ich ausgestiegen war, kam mir ein junger Mann mit Rosenkranz, Plastikpuppen, einem Videoband und Broschüren entgegen. Er warf mir vor, dass ich mein Kind umbringe, packte mich am Ärmel und folgte mir bis in das Haus hinein.“ So steht es in den Gerichtsakten. Den Prozess, in dem Frau F. ihre Aussage machte, hatte nicht die Klinik wegen offensichtlicher Betriebsstörung angestrengt, sondern der für die Spießrutenläufe, denen die Klientinnen der Klinik jahrelang ausgesetzt waren, Verantwortliche. Dietmar Fischer, Vorsitzender von HLI Österreich, erhob Klage gegen den Vorwurf, seine Organisation betreibe Psychoterror.

HLI steht für Human Life International und ist ein 1981 vom Benediktinerpater Paul Marx in den USA gegründetes Netzwerk radikaler Abtreibungsgegnern. Mit 84 Zweigstellen in 56 Ländern und über 25.000 Mitgliedern ist es das größte seiner Art. Sitz ist die Kleinstadt Front Royal in Virginia, direkt vor den Toren der Hauptstadt Washington, wo sich die Lobbyarbeit konzentriert. Die fundamentalistische Gruppe hält Verhütungsmittel für die gefährlichste „Massenvernichtungswaffe“ der Welt und tritt gegen Aufklärungsunterricht an den Schulen an. Auch in der Ehe sei Enthaltsamkeit das einzig legitime Mittel der Familienplanung. Dabei verstehen sich die frommen Leute als durchaus militärischer Stoßtrupp der wahren Lehre. Von „Waffenrüstung im Kampf für das Leben“ ist da die Rede und vom Training für „sprituelle Kriegführung“.

Die Wiener Filiale wird von dem ehemaligen Lehrer Dietmar Fischer geleitet. In der Nähe der beiden Wiener Abtreibungskliniken – „Tötungszentren“ im Jargon von HLI – hat sie „Beratungsstellen“ eingerichtet, von wo aus die Aktivisten ausschwärmen. Der junge Mann, der Frau F. belästigte, gehört zu den so genannten Gehsteigberatern. Deren Aufgabe ist es, Frauen, die sich zur Abtreibung entschlossen haben, von ihrem Vorhaben abzubringen. Dabei gehen sie nicht zimperlich vor. Die Broschüren, die sie ihnen aufdrängen, sind voll blutrünstiger Bilder von abgetriebenen Föten. Viele Frauen beschwerten sich, sie seien nicht nur als Mörderinnen und „Kinderzerstücklerinnen“ beschimpft, sondern auch physisch bedrängt worden. Die „spirituelle Kriegführung“ beschränkt sich offenbar nicht auf die Kraft der Argumente.

In Österreich ist die Schwangerschaftsunterbrechung bis zur zwölften Woche erlaubt. Die so genannte Fristenlösung, die, anders als die deutsche Indikationslösung, kein verpflichtendes Beratungsgespräch voraussetzt, wurde vor dreißig Jahren von der SPÖ-Regierung Bruno Kreiskys durchgesetzt. Allerdings wird die Abtreibung nicht in allen öffentlichen Krankenhäusern angeboten. Besonders in den ÖVP-regierten Bundesländern, und das sind die meisten, wird bestenfalls bei medizinischer oder sozialer Indikation abgetrieben. Frauen in einer Notlage müssen zwar nicht mehr nach Ungarn oder in die Niederlande ausweichen, aber zumindest eine mitunter teure Reise nach Wien in Kauf nehmen. Anders als in einigen europäischen Ländern konnte die Frauenbewegung die Forderung nach Kostenübernahme durch die Krankenkasse nicht durchsetzen. „Schwangerschaft ist keine Krankheit“, sagt Beate Wimmer-Puchinger, die Wiener Frauengesundheitsbeauftragte der SPÖ und eine der Vorkämpferinnen für die Entkriminalisierung der Abtreibung. Viele der 90.000 pro Jahr abtreibenden Frauen in Österreich (inoffiziell geht man von der doppelten Anzahl aus) sind also auf wenige private Kliniken angewiesen.

Privatkliniken, auch wenn sie soziale Tarife verrechnen, müssen mit Profit arbeiten. Sabine Beham hat die Lucina-Klinik in der Großen Sperlgasse im 2. Bezirk aber sicher nicht eröffnet, weil sie sich davon ein blendendes Geschäft versprach. Ihre Großmutter starb 1934 unter den Händen einer Engelmacherin, ihre Mutter verblutete 1969 bei einer Geburt, die sie nicht mehr wollte, und sie selbst wäre zehn Jahre später bei einem dilettantischen illegalen Eingriff fast ums Leben gekommen: „Das ist der Grund, warum ich mich so vehement für die Fristenlösung engagiert habe.“

HLI verfügt offenbar über große finanzielle Mittel. So konnte Dietmar Fischer die Räumlichkeiten der Klinik und auch das darüber befindliche Stockwerk aufkaufen. Dadurch wurde er zum Vermieter. Zwar verbietet der Mieterschutz willkürliche Kündigungen, doch reichte Fischer im Dezember 2000 die Aufkündigung des Vertrags ein. „Der Ruf und die wirtschaftlichen Interessen des Klägers und aller anderen Wohnungseigentümer“ würden durch den Klinikbetrieb erheblich beeinträchtigt und geschädigt. Damit blitzte er allerdings ab. In der Urteilsbegründung hieß es, dass nach der österreichischen Gesetzeslage „Schwangerschaftsabbrüche zulässig und daher in rechtlicher Sicht nicht anders als andere medizinische Eingriffe zu beurteilen“ seien. Die Lebensschützer gaben sich aber nicht geschlagen. Sie richteten über der Klinik eine Kapelle ein, wo 24 Stunden am Tag laut gebetet und gesungen wurde, was die Arbeit im Operationssaal darunter erschwerte. Wirtschaftlich geschädigt wurde die Klinik zudem, weil sie angesichts ständiger Drohungen in Sicherheitstüren und Alarmanlagen investieren und einen Wachdienst engagieren musste. Sabine Beham musste sich von anonymen Anrufern anhören, welche Inschrift sie auf ihrem Grabstein zu erwarten habe. Mehrmals wurden Bombendrohungen ausgesprochen. Sogar Anschläge mit Giftgas wurden unternommen. Die Urheberschaft konnte den Abtreibungsgegnern allerdings nicht nachgewiesen werden.

Die militanten Lebensschützer fühlen sich ermutigt, seit im Februar 2000 ÖVP und FPÖ die Regierung übernahmen. Das von den Konservativen propagierte traditionelle Familienbild, das die Frau vor allem als Mutter definiert, schlägt sich in mehreren Gesetzen nieder. Statt das Defizit an Kinderbetreuungsplätzen zu vermindern, schuf die Regierung das Kindergeld, das es Frauen erleichtert, zu Hause zu bleiben, und die Rückkehr in den Beruf erschwert. HLI erwähnt in seinen Publikationen ausdrücklich, dass diese Politik seine Aktivitäten erleichtere. Sozialminister Herbert Haupt (FPÖ) dachte laut darüber nach, Beratungen verpflichtend zu machen und die Einwilligung des Kindesvaters vorzuschreiben. Und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat mehrmals betont, die ÖVP strebe eine Änderung der entsprechenden Gesetze an. Allerdings hat er da nicht einmal von der eigenen Partei volle Unterstützung.

Für die Lebensschützer sind Pille und Kondom gefährliche Waffen

Jeden vierten Samstag im Monat zog eine Prozession aus der nahe gelegenen Kirche der Barmherzigen Brüder, mit Transparenten bewehrt, vor die Klinik. Dort wurde dann stundenlang gebetet und gesungen. Auf ihrer Homepage rühmen sich die Aktivisten, 3.500 Babys das Leben gerettet zu haben. Gebetsstunden und Gehsteigberatung waren dafür nicht ausreichend. HLI gelang es, das Telefon der Klinik anzuzapfen und nicht nur abzuhören, sondern die Anrufe auf den eigenen Anschluss umzuleiten. Dort meldete sich dann eine freundliche Stimme, die bereitwillig einen Termin für die gewünschte Abtreibung vergab. Allerdings für einen Vormittag. Da war die Klinik geschlossen. Vor der Tür wartete dann jemand, der die Frau in das HLI-Zentrum wenige Gassen weiter schickte. Eine der irregeführten Frauen sagte aus, sie sei dort von ihrem Mann getrennt, in ein Zimmer eingesperrt und stundenlang zum Singen und Beten gezwungen worden. Erst als ihr Mann drohte, die Polizei zu rufen, sei sie schließlich freigelassen worden.

Schließlich nahmen sich die Grünen und vor allem die Sozialistische Linkspartei (SLP), eine an der Uni angesiedelte marxistische Splittergruppe, der bedrängten Klinik an. Jedes Mal, wenn die Betschwestern und -brüder zu ihren Gebeten vor der Klinik aufmarschierten, organisierte sie eine Gegendemonstration, die auf ihren Transparenten das Recht auf Abtreibung einforderte. Die Frauensprecherin der SLP, Claudia Sorger, handelte sich damit prompt das eingangs erwähnte Verfahren wegen übler Nachrede ein, in dem sich der Kläger von einem der renommiertesten Anwaltsbüros, Gheneff-Rami, vertreten ließ. Es ist die ehemalige Kanzlei des FPÖ-Justizministers Dieter Böhmdorfer, die schon Jörg Haider in zahlreichen Prozessen gegen die Medien zur Seite stand. Die Klage wurde allerdings in allen Punkten abgewiesen. Dieses Urteil wurde nach Berufung von HLI im vergangenen März vom Oberlandesgericht bestätigt. Seither darf man ungestraft behaupten, dass HLI Psychoterror ausübt und Lügenpropaganda verbreitet.

Für die Lucina-Klinik kommt dieses Urteil zu spät. Immer weniger Frauen wollten sich den Bekehrungsversuchen aussetzen. Die Klinik ging Anfang des Jahres Bankrott und musste schließen. Am 2. Juni werden die Möbel und Geräte zwangsversteigert. Dietmar Fischer will die Instrumente ersteigern und damit in den Räumlichkeiten, die ja seiner Organisation gehören, ein „Baby-Holocaust-Museum“ einrichten.