nebensachen aus porto alegre
: Südamerikanische Traditionspflege mit Farroupilha-Revolution und Churrasco nach Omas Hausrezept

Wie Brasiliens nie entstandene „Pampa-Republik“ dem verlorenen Vorbild Bayern gedenkt

Die Haberer feiern Geburtstag. Am Freitag lädt die „Bayern-Abteilung“ des Sportclubs Sogipa Porto Alegre, vormals Deutscher Turnverein, zum 100-jährigen Jubiläum. Dann wird das clubeigene „Bayernhaus“ mit seiner frisch restaurierten Lüftlmalerei wiedereröffnet. Zum Festschmaus gibt es Schweinsbraten mit Sauerkraut und Kartoffelsalat, anschließend spielt eine Trachtenkapelle zum Tanz.

Stolz sind die Sogipanos, das erste Oktoberfest Brasiliens ausgerichtet zu haben. Laut Vereinschronik war das 1911. Neun Millionen deutschstämmige Brasilianer gibt es; ihre Vorfahren kamen zumeist im 19. Jahrhundert aus dem Hunsrück, der Rheinpfalz oder Pommern. In abgelegenen Landstrichen der südlichen Bundesstaaten Rio Grande do Sul, Santa Catarina und Paraná wird heute noch Hundsrückisch oder Platt gesprochen.

Bayerisch kann einem in Rio Grande do Sul trotzdem allerhand vorkommen: zum Beispiel die Traditionspflege, die sich die unzähligen Gaúcho-Kulturvereine auf die Fahne geschrieben haben und manchmal so wundersame Blüten treibt wie das gerade vom Gouverneur unterschriebene Gesetz Nr. 11.929. Demnach hat der Bundesstaat zwei offizielle Symbole mehr, nämlich das Nationalgericht Churrasco und den Chimarrão.

Letzteres ist der warme Mate-Tee, den die Gaúchos in allen Lebenslagen mit einem verzierten Metallröhrchen aus einer wohlgeformten Kürbistasse schlürfen und anschließend an den Nachbarn weiterreichen. Churrasco ist Grillfleisch, das als „typisches Gericht“ freilich nur dann gilt, wenn es „mit grobem Salz“ und „ohne Kochgas oder elektromechanische Geräte“ zubereitet wird. Mit dem Gesetz, sagt der Urheber Giovani Cherini stolz, „werden unsere Wurzeln in der Geschichte festgeschrieben und die Zukunft verlängert“.

Wenn der frühere Gouverneur und jetzige Städteminister Olívio Dutra zu festlichen Anlässen mit Pluderhosen, rotem Halstuch und Filzhut auftritt, werden die Gaúchos oft belächelt – aber noch häufiger wegen ihrer Wirtschaftslage beneidet, die immer ein bisschen besser ist die der restlichen Nation. Kulturell verbindet sie mehr mit den Nachbarn in Uruguay oder Nordostargentinien als mit ihren Landleuten aus Amazonien oder Bahia. Zwar hatten die Gaúcho-Separatisten nach ihrem 1845 endgültig gescheiterten Befreiungskrieg keine ernsthafte Chance mehr für ihr Projekt einer südbrasilianischen Pampa-Republik. Die heldenhafte Farroupilha-Revolution gegen das Kaiserreich Brasilien wird alljährlich gefeiert, mit Pferderennen, Volksmusik und Churrasco in allen Variationen. Aber anders als in Bayern ist es keiner Kraft gelungen, dauerhaft die Hegemonie zu erringen: Alle vier Jahre wird die Landesregierung komplett ausgewechselt.

GERHARD DILGER