Das Zentralorgan spricht

In der Zeitschrift „Cicero“ zeigt Wolf Biermann seinen Intimbereich vor. Schön ist das nicht

„Ich will nicht zusehen, wie Sie Ihr Zentralorgan in diese Frau reinstecken!“

Sogar von Wolf Biermann kann man etwas lernen. Dichten, singen und Gitarre spielen zwar nicht – aber wie man es schafft, einem Gesprächspartner das Thema Geschlechtsverkehr aufzudrängen, das weiß er. Im Interview mit Cicero, dem Blatt für erloschene Herren von Springer-Welt, fährt Biermann den Fragesteller Benjamin Weinthal unvermittelt an: „Wenn ich in ein Zimmer reinkomme, wo Sie gerade mit einer Frau im Bett liegen und diese Sache machen, über die wir jetzt nicht reden wollen, wissen Sie, was ich dann mache?“

Vielleicht möchte der Interviewer das lieber nicht wissen, aber Biermann will es ihm unbedingt sagen: „Ich mache die Tür zu und gehe auf Zehenspitzen weg. Selbst wenn Sie mit meiner Frau dort liegen, würde ich das so machen.“ Ob es der Frau des generösen Wolf Biermann und dem vollgebölkten Fragesteller überhaupt gefiele, miteinander ins Bett gelegt zu werden, spielt ohnehin keine Rolle. Biermann klebt an seinem Thema: „Ich will nicht zusehen, wie Sie Ihr Zentralorgan in diese Frau reinstecken!“

„Zentralorgan in diese Frau reinstecken“: Das ist Dichtung, wie Wolf Biermann sie versteht. So spricht ein Mann, der ein paar Sätze weiter über sich sagt: „Den Heinrich Heine habe ich nun wirklich mit der Muttermilch gesoffen.“ Klar: „gesoffen“, nicht getrunken. Selbst wenn an diesem Rülpsen irgendetwas Wahres wäre, es fruchtete doch nichts. Aus Biermann spricht sein Zentralorgan, es brunzt und brunftet: „Wenn ich ein Lied spiele vor einem Mädchen, das ich verführen möchte, dann will ich natürlich, dass sie sich in mich verliebt. Und sagt, wer so schön Gitarre spielt, der kann auf mir vielleicht auch so eine Melodie hervorbringen …“ – mit drei tröpfelnden Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen.

Wer nicht dichten kann, muss stehlen. Biermann griff sich Bob Dylans „11 Outlined Epitaphs“, die er allerdings „in mein Deutsch“, übersetzte, wie er trompetete, als ob er eines hätte; er habe Dylan „aus meinen Vorräten und aus meiner mehr europäischen Sicht noch das eine oder andre zustecken“ wollen. Was in richtigem Deutsch bedeutet: Biermann jubelte Dylan jede Menge frei erfundenes krauses Zeug unter.

Als die „Elf Entwürfe für meinen Grabspruch“ im Herbst 2003 erschienen, war die Befremdung groß. War der Zwerg vollends wahnsinnig geworden? In eine angebliche Übersetzung hineinzuschreiben, was ihm durch sein Zentralorgan rauschte? Biermann lernte nichts, er lärmte: „Das habe ich ihm reingeschoben. Das soll mir erlaubt sein, anderen nicht. Dylan hat das Glück, dass ich es gemacht habe“, johlte er im Spiegel. Hatte Dylan wirklich Glück? Weil er es nicht „reingesteckt“ bekam, sondern „zugesteckt“ und „reingeschoben“? Wolf Biermanns zentralorganischer Wortschatz ist jedenfalls ganz erstaunlich.

Die Verrisse in der Süddeutschen Zeitung, in der FAZ, in der taz et cetera wiesen Biermann und seinem Verlag Kiepenheuer & Witsch einen lupenreinen Etikettenschwindel nach. Einer der Kritiker war ich – in Cicero ist die entsprechende Nachfrage eher vorsichtig formuliert: „Es gab auch weniger gute Kritiken, zum Beispiel vom taz-Kolumnisten Wiglaf Droste.“ Und dies ist Biermanns Antwort, ungekürzt: „Ich kenne das nicht. Aber ich kenne die taz und bin gewarnt. Ein Freund rief mich an aus Berlin und sagte: Lies diesen Stuss bloß nicht. Der Autor ist ein chronischer Giftzwerg, ein verkrachter Provinz-Literat in der Hauptstadt, der es nicht ertragen kann, dass die Musen ihn nicht küssen. Sowas ist meistens der blanke Neid. Nicht dieser sympathische weiße: der neidlose Neid, sondern der schwarze. Gute Journalisten sind meistens schon deshalb prima, weil sie keine verhinderten Dichter sind. Solche verkrachten Künstler werden oft besonders giftige Kunstfeinde. Und am schlimmsten ist es, wenn sie dann auch noch in die Politik hineingeraten. Denken Sie nur an den Lyriker Radovan Karadžić, oder an den Dichter Mao Tse-tung, oder an den Poeten Ho Chi Minh. Dann ist es immer noch harmloser, solche Canaillen spucken Gift und Galle auf Zeitungspapier und werden keine bewaffneten Blutsäufer. Gescheiterte Dichter sollte man entweder prophylaktisch totschlagen oder mästen! Dieser Liebeskummer mit den Musen macht sie dermaßen missgünstig. Keine Freude, kein Spaß, kein Wohlwollen. Die sind wie zu Tode beleidigte Liebhaber, die nicht an eine scharfe Frau rankommen und rächen sich dann dafür an der Menschheit!“

Dafür, dass er „das nicht kennt“, ist er recht ausführlich.

Ich aber frage, wer ich bin: / Kara Ben Nemsi? Ho Chi Minh? / Ein Ma-O-Am? Ein Mao Tse-tung? / Bin ich dafür nicht doch zu jung? // Bin ich Dutroux? Johannes Rau? / Wolf Biermann weiß es nicht genau. / Der Schritt vom Kara-sek zum -dzic / Heißt kölsch: Willy Millosewitsch. // Wer hört das Lied „Fly like an Eagle“ / Und übersetzt: „Flieg wie ein Igel! / Steig, Ikarus, auf wie ein Ziegel!“ / Wolf Biermann, der Poet vom Spiegel.

WIGLAF DROSTE