Hassan soll abgeschoben werden: Vielen Dank. Und tschüss

Der Iraker Hassan Hussein hat einen Handtaschenräuber gestellt. Dafür hat er viel Anerkennung erfahren. Doch heute läuft seine Duldung ab, ihm droht die Abschiebung.

"Ich würde mir eher etwas antun, als zurück in den Irak zu gehen", Hassan Hussein. Bild: Nina Himmer

VIERNHEIM taz | Die Symbole der Anerkennung passen in eine transparente Plastikhülle. Darin bewahrt Hassan Hussein Urkunden, Bilder und Zeitungsartikel aus der Lokalpresse auf. Die Fotos zeigen ihn inmitten von Polizisten und Politikern, die anerkennend in die Kamera lächeln. Nur Husseins Lächeln wirkt dünn - dabei ist er die Hauptperson.

Er sitzt auf einer schmalen Couch, trägt einen grauen, schlabbrigen Jogginganzug. An den Wänden seines winzigen Zimmers hängen Bilder von seinen Freunden. "Ich weiß nicht, ob sie noch leben", sagt Hussein.

Der 17-Jährige ist vor zweieinhalb Jahren vor dem Krieg im Irak nach Deutschland geflohen, lebte in verschiedenen Flüchtlingsheimen. Derzeit ist er im hessischen Viernheim, einer eher trostlosen 30.000-Einwohner-Stadt.

Husseins Freund Amir Abd al-Mohammed übersetzt. Hussein versteht zwar fast alles, doch flüssig auf Deutsch antworten kann er noch nicht. Manche Wörter haben es dennoch akzentfrei in seinen Wortschatz geschafft. "Aufenthaltsgenehmigung", "Behörde" - und "Zivilcourage".

Dafür wurde der junge Iraker mehrfach ausgezeichnet: Von der Bundespolizei, der Deutschen Bahn, der Polizeidirektion Weinheim, dem kommunalen Kriminalpräventionsverein Rhein-Neckar und dem Bürgermeister des Bergstraßen-Städtchens Hemsbach. Der Grund liegt einige Wochen zurück.

Er stellt den Täter

Hussein erzählt, was auf dem Bahnhof in Hemsbach passiert ist: "Ich habe mitbekommen, wie einer jungen Frau die Handtasche geklaut wurde." Erst habe er nicht eingreifen wollen, denn er hat einen Grundsatz: aus Ärger raushalten. Aber dann beginnt die Frau zu weinen. Hussein läuft dem Täter nach. Ein Stück vom Bahnhof entfernt findet er die weggeworfene Tasche. "Ich habe sie genommen und wollte zurückgehen, doch dann gemerkt, dass der Geldbeutel fehlt."

Hussein schweigt kurz. "Ich hatte Angst. Wäre ich ohne das Geld zurückgegangen, hätten doch alle gedacht, ich hätte es genommen." Er weiß, dass er nur zu gut in das Bild eines Täters passt: jung, Ausländer, massige Statur, kurzgeschorene Haare, tätowierte Arme. Also dreht er um. Nimmt die Verfolgung wieder auf und stellt den Täter wenig später. "Er wollte mir das Geld nicht geben, also habe ich ihn zurück zum Bahnhof geschleppt."

Auf dem Rückweg bedroht der Junge Hussein mit einem Messer. Er kann es ihm abnehmen. Am Bahnhof warten die bestohlene Frau und die Polizei. Der Täter ist erst 14 Jahre alt, aber bereits polizeibekannt. Das Geld ist in seiner Hose. Ein Polizist klopft Hussein auf die Schulter. Die junge Frau bedankt sich.

Aber die Gesellschaft, die ihn öffentlich lobt, will ihn loswerden. Am Donnerstag läuft seine Duldung ab. Er ist "vollziehbar ausreisepflichtig". Also darf ihn die Ausländerbehörde abschieben.

Sein Vater wurde im Irak ermordet

Gegenwärtig wird die Situation im Irak von den hessischen Behörden noch als Abschiebungshindernis gesehen. Das könnte Hussein eine Gnadenfrist bis zum Herbst bringen. Ihn quält der Gedanke an eine Rückkehr. "Ich würde mir eher etwas antun, als zurück in den Irak zu gehen."

Im Irak hat er Menschen auf offener Straße sterben sehen, dort hat seine Familie Drohbriefe mit Patronenhülsen erhalten. Das Haus seiner Eltern in Bagdad wurde abgebrannt. Sein Vater, Angestellter einer Ölfirma, wurde 2005 von Unbekannten ermordet. "Nachdem mein Vater erschossen wurde, wollte mich meine Mutter unbedingt in Sicherheit bringen, raus aus dem Land", erzählt Hussein.

Sie verkaufte das Auto, ihren Schmuck und die Goldreserven der Familie, um ihrem jüngsten Sohn die Flucht zu ermöglichen. Rund 10.000 US-Dollar kostete das - hauptsächlich Bestechungsgelder. "So läuft das dort", sagt Hassan. Er war 14 Jahre alt, als er seine Familie verließ. Ohne zu wissen, ob er sie wiedersieht.

Die Jobs scheiterten an der verweigerten Arbeitserlaubnis

Über die Türkei sei er nach Deutschland gekommen - vom Kriegsgebiet in Bagdad zunächst nach Rimbach im Odenwald. "Das Tollste an Deutschland ist dieses Gefühl von Sicherheit, und die Ordnung, die Gesetze, die Demokratie, die Freiheit." Er glaubt nicht daran, dass der Irak bald sicherer sein wird.

Hussein lebt hier auf Raten. Zunächst wurde seine Duldung alle sechs Monate verlängert, beim letzten Mal nur noch drei. Sein Antrag auf Asyl wurde abgelehnt. Sein Anwalt Gerhard Meyer-Heim hofft jetzt auf eine geplante Gesetzesänderung, die integrationsfähigen jungen Ausländern den Aufenthalt in Deutschland erleichtern soll. Paragraf 25 a des Aufenthaltsgesetzes könnte alles ändern - sehr wahrscheinlich ist das aber nicht.

"Ich versuche alles, um hier bleiben zu können", sagt Hussein. Er hat einen Deutschkurs besucht, würde am liebsten eine Ausbildung zum Elektriker machen. Zweimal schon hat er sich einen Job gesucht, einmal auf dem Bau, einmal in einem Restaurant, doch jedes Mal scheiterte alles an einer verweigerten Arbeitserlaubnis.

Trotzdem liebt er das Land, das ihn nicht haben möchte. Er muss lange nachdenken, ob ihn hier etwas stört. "Sonntage", sagt er schließlich. Da seien die Straßen leer, das Leben eingefroren. "Dann muss ich mehr Zeit hier verbringen" - hier, das ist das Flüchtlingsheim.

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