Urban Gardening auf St. Pauli: Große Freiheit Ackerbau

Auf St. Pauli ist in den letzten Wochen ein Nachbarschaftsgarten entstanden. Das Projekt ist nicht kommerziell, jeder ist eingeladen mitzumachen.

Nachbarschaftsgarten in St. Pauli: 20 bis 30 Hobby-GärtnerInnen hegen hier regelmäßig junges Gemüse. Bild: Miguel Ferraz

Wo die Große Freiheit leiser wird, zwischen St. Pauli Druckerei und Indra, stehen drei Frauen und ein kleines Mädchen in einem Innenhof, tief gebeugt über orangene Bäckerkisten. Sie pflanzen Spinatzöglinge um, einmal Sorte "Bordeaux" und einmal "Stinknormal", so die Auskunft der fünfjährigen Martha. Sie wohnt in dem weißen Haus rechts. Von ihrem Balkon aus hat sie einen direkten Blick auf den Gemeinschaftsgarten.

Entstanden ist das Projekt "Gartendeck" beim Sommerfestival Kampnagel. Jeder kann mitmachen, zwischen 20 und 30 Leute hegen bereits regelmäßig das junge Gemüse in den 500 Kisten. Sie alle kommen direkt oder aus der unmittelbaren Nähe von St. Pauli. Ihnen ist wichtig, was hier passiert: "Durch den Garten verschaffen wir uns auch einen gewissen Handlungsspielraum im Viertel", sagt Claudia Plöchinger, Leiterin des Gartendecks. Denn das Projekt etabliert sich langsam, wenn auch erstmal nur für einen Sommer.

Beim Urban Gardening werden brachliegende Flächen in Großstädten durch Anwohner in nichtkommerzielle Gartenflächen verwandelt. Kein neues Phänomen. In Berlin etwa gibt es seit drei Jahren das Projekt "Prinzessinnengarten", erzählt Kerstin Davies. Die Grafikerin steht in roten Flip-Flops vor den Setzlingskisten und drückt mit einem Holzstock kleine Löcher in die Erde, vier quer, acht längs.

Interkultureller Garten Wilhelmsburg e. V.: Bereits seit 2006 besteht das Interkulturelle Integrations- und Bioanbauprojekt in der Veringstraße. Der Garten ist auch als Teil der Internationalen Gartenschau 2013 geplant.

"Keimzelle" im Karoviertel: Bis 2012 soll an der Ecke Ölmühle/Marktstraße ein "sozialer" Gemüse- und Kräutergarten entstehen.

Die Internetplattform Grünanteil informiert über private Gartenprojekte und bietet die Möglichkeit, seinen eigenen Garten anzubieten: http://gruenanteil.wordpress.com.

In einem Blog hatte sie von dem Projekt in Kreuzberg gelesen und daraufhin nach etwas Ähnlichem in ihrer Nähe gesucht. "Dass wir nicht professionell arbeiten, erkennt man schon am Werkzeug", sagt sie und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Sie wirkt zufrieden, wie alle Nachbarschaftsgärtner, die an diesem Nachmittag auf den heißen Teerplatten arbeiten.

Die Ausstattung im Gartendeck wird jeden Tag besser. Rechen und Schaufeln, Eimer und Gießkannen kommen zum Teil von Schrebergartenauflösungen, wenn etwas dringend gebraucht wird, fährt Plöchinger zum Baumarkt. Ansonsten dient der Holzstock als Universalwerkzeug.

Noch im Mai war unklar, ob sich für das Projekt ein Platz finden würde. Das Gemüse wurde erst einmal im Hofgarten der St. Pauli Kirche gesät, doch noch am selben Tag stellte die Stadt die 1.100 Quadratmeter Brachfläche in der Großen Freiheit zu Verfügung. Pünktlich zu den Harley Days war Umzugstag, 50 GärtnerInnen überquerten mit Blumenkübeln, Schaufeln und Eimern die Reeperbahn, vorbei an den aufheulenden Maschinen.

Projektleiterin Plöchinger raucht drei hastige Züge. Sie ist in Eile, das Handy klingelt ständig. Jemand möchte einen Leiterwagen vorbeibringen, als Geschenk. "Wir folgen einem Prinzip der Nichtparzellierung", sagt Plöchinger. Ein Garten als Gemeinschaftsgut. Jedes Bedürfnis könne hier mit einem "ja, mach mal" beantwortet werden. Was reif ist, wird geerntet: Radieschen, Tomaten, Mais und Kräuter teilen die HelferInnen unter sich auf. Abschluss des Projekts soll ein Festmahl aus den selbst gezogenen Bioprodukten sein.

Neben dem aus Klarsichtfolie und Ästen gebastelten Gewächshaus ist in großen Lettern "No more gentrification" an die Wand gesprüht. Seit wann, weiß keiner. "Manchmal frage ich mich, ob das nun für oder gegen uns sprechen soll", sagt die 33-Jährige. Mit der Stadt ist die Nutzung des Geländes bis Ende November vereinbart, Verlängerung nicht ausgeschlossen.

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