Vietnams erster großer Sieg

Heute vor 50 Jahren besiegte in Dien Bien Phu das Dritte-Welt-Land Vietnam die europäische Großmacht Frankreich. Die strategische Meisterleistung einer asiatischen Bauernarmee läutete das Ende des französischen Kolonialismus ein

VON NICOLA GLASS

„Als ich mit meinem Vater das erste Mal übers Ausland diskutierte, fiel gerade Dien Bien Phu“, erinnert sich ein indischer Mitarbeiter der Weltbank. „Das war ein Anlass, stolz zu sein, denn ein kleines asiatisches Land hatte eine mächtige Kolonialmacht vernichtend geschlagen.“ Diese Bewunderung dürfte Musik sein in den Ohren von General Vo Nguyen Giap, dem Architekten des damaligen Sieges.

Der alte Kämpe wird dieser Tage wieder jung und die Vergangenheit für ihn lebendig. Giap wird umringt von Mitstreitern und Verehrern, lässt sich mit ausländischen Korrespondenten ablichten und gibt lauter Interviews: „Eine Nation ist sehr stark, wenn sie sich entschlossen hat, aufzustehen“, ist sein wohl meistzitierter Satz. Der 92-Jährige trägt seine weiße Generalsuniform voller Orden und mit vergoldeten Schulterstücken.

Vietnam feiert heute den Sieg von Dien Bien Phu über die französischen Kolonialtruppen vor 50 Jahren – in der Hauptstadt Hanoi und im nordvietnamesischen Dien Bien Phu selbst nahe der Grenze zu Laos. Als Giaps Meisterstück gilt die für die Franzosen völlig unerwartete Aufstellung schwerer Artillerie rund um die Festung der Kolonialtruppen. Diese hatten die Vietminh in eine Schlacht zwingen wollen, mussten aber nach 57 Tagen für beide Seiten verlustreicher Belagerung am 7. Mai 1954 kapitulieren. Damit endete Frankreichs Vorherrschaft in Indochina und wurde das Ende des französischen Kolonialreichs eingeleitet.

Zum heutigen Jahrestag verzichtet Vietnam auf triumphale Gesten, will aber auch die einstige Kolonialmacht auf Distanz halten: Ein Vertreter Frankreichs, so heißt es, dürfe in Dien Bien Phu einen Kranz niederlegen, aber nicht an der Gedenkfeier teilnehmen.

Dien Bien Phu war damals eine Ansammlung von Siedlungen in einem weitläufigen Tal. Heute zieht sich eine Reihe von Internetcafés durch geschäftige Märkte. Mehrere hundert alte Männer in zerschlissenen Uniformen und mit Orden auf der Brust sind gekommen, um sich zu erinnern und um gefallene Kameraden zu trauern.

Die regierende Kommunistische Partei ist bemüht, in Massenveranstaltungen jungen Vietnamesen die legendäre Geschichte nahe zu bringen. Denn die junge Generation kennt die Kriege und Teilung des Landes nur noch in groben Zügen, und für Parteigeplänkel interessieren sich die wenigsten. In Vietnam, wo viele Regionen auch heute noch völlig verarmt sind, will die Jugend vor allem Bildung und Wohlstand. Geschäftsleute und Intellektuelle fordern eine Bekämpfung der Korruption und politische Reformen im Land, das unter dem Prinzip des „doi moi“ nur wirtschaftliche Liberalisierung versteht.

Auf ihrem Jahrestreffen zeigen die alten Kriegsveteranen Verständnis für die Anliegen der Jugend. Die meisten der heute 70- bis 80-jährigen Exsoldaten kamen nie über die Grundschule hinaus und freuen sich, dass ihre Enkel heute Universitäten besuchen können. „Als ich hier kämpfte, habe ich mir immer eine Welt ohne Töten vorgestellt“, zitiert die Presse den einarmigen Nay, der zum ersten Mal seit 50 Jahren nach Dien Bien Phu zurückgekehrt ist. Der Preis, den er und seine Kameraden gezahlt haben, sei es wert gewesen, meint er. „Das Leben unserer Kinder ist heute besser, sie müssen keine Angst vor Krieg haben.“ Und der 79-jährige Nguyen Tieu fügt hinzu: „Den Feind zu bekämpfen und mein Land wieder aufzubauen, das waren meine Aufgaben.“

Die Crux an der Geschichte: Der Befreiungsschlag von Dien Bien Phu war letztlich nur der Auftakt für neue, blutige Auseinandersetzungen. Die Schlacht – als Symbol für nationale Stärke beschworen – führte auf der folgenden Genfer Indochina-Konferenz zur Teilung des Landes – in einen kommunistischen Norden und einen weiterhin von Frankreich gestützten, später völlig von den USA abhängigen kapitalistischen Süden. Diese Teilung mündete in den US-geführten nächsten Krieg, der Vietnams Bevölkerung unsägliches Leid brachte.

Auch in dem „amerikanischen Krieg“, wie er in Vietnam genannt wird, hatte General Giap eine Schlüsselrolle. Seine Truppen nahmen schließlich im April 1975 die südliche Hauptstadt Saigon ein und verjagten die Amerikaner. Wohl wissend, dass die USA keinen Partisanenkrieg gewinnen können, prophezeit Giap den US-Truppen auch eine Niederlage im Irak: „Jede Macht, die ihren Willen einem ande- ren Volk aufzwingt, wird scheitern!“