Umweltrat kritisiert lahme Ökopolitik

Sachverständige werfen Rot-Grün mangelnde Dynamik in Umweltfragen vor und fordern ein neues Klimaziel: Bis 2050 soll der Ausstoß von Treibhausgasen um 80 Prozent reduziert werden. Zudem warnen sie vor unterschätzten biologischen Schadstoffen

aus Berlin MATTHIAS URBACH

Manchmal fällt so ein Satz, der alles auf den Punkt bringt. „Was heißt ‚kein Geld‘?“, antwortete Hans-Joachim Koch, der Sprecher des Umweltrates, auf die Frage eines Journalisten nach den Widerständen beim Fluglärmschutz. Man solle sich durch die aktuelle Spardebatte nicht täuschen lassen. „Für den Umweltschutz war noch nie Geld da – das war 1969 schon nicht anders als heute.“

Koch hatte gestern die schwierige Aufgabe, das rund 1.000-seitige Gutachten des Sachverständigenrates der Bundesregierung kurz vorzustellen. Zusammenfassend kommen die Professoren zu der Einschätzung, dass die rot-grüne Umweltpolitik „an Dynamik verloren“ habe. Oft hätten allein die Richtlinienvorschläge der Europäischen Union Blockaden verhindert.

Dabei sei es zwar ein gern vorgebrachtes Argument, dass der Umweltschutz zu teuer komme. Doch oft werde dabei stark übertrieben. Als Beispiel führen die Experten die chemische Industrie an, der zufolge durch die geplante Chemikalienverordnung der EU (REACh) Wachstumsverluste von bis zu 6 Prozent und der Verlust von bis zu 2 Millionen Jobs drohen. REACh soll dafür sorgen, dass künftig fast nur noch auf ihre Giftigkeit untersuchte Chemikalien in Umlauf kommen. Die Industrie-Zahlen, urteilt Ratsmitglied Peter Michaelis, seien „maßlos überzogen“, die zugrunde liegende Studie habe „methodische Mängel“. Da die deutsche Chemieindustrie ohnehin drei Viertel ihrer Erzeugnisse in der EU absetzt, sei die Wettbewerbsverzerrung eher gering. „Sichere Chemie made in EU“ könne gar ein Markenzeichen werden und etwa Kunden in der US-Industrie locken, denen horrende Entschädigungspflichten drohen, wenn sie unwissentlich giftige Stoffe in Umlauf bringen sollten. Asbest und PCB hätten gezeigt, dass „solche Wissenslücken“ auch zu „erheblichen volkswirtschaftlichen Folgekosten“ führten.

Beim Klimaschutz drohen sogar umgekehrt Kosten durch zaghaften Umweltschutz. Bis 2020 nämlich müssen die Stromversorger die Hälfte ihrer Kraftwerke erneuern. Eine gute Gelegenheit also, klimafreundliche Techniken zu wählen. Doch leider setze die Regierung dafür nicht die richtigen Signale, heißt es im Gutachten. Erstens werde der Lenkungseffekt des Emissionshandels hin zu mehr Klimaschutz „unterwandert“, indem die Regierung viel zu viele Emissionsrechte an die Industrie austeile, urteilt Ratsmitglied Martin Jänicke. Zweitens fehle ein langfristiges Klimaziel. Der Rat fordert bis 2050 eine Minderung des Ausstoßes an Treibhausgasen um 80 Prozent gegenüber 1990.

Derzeit drohten Fehlinvestitionen in eine „langfristig ökonomisch wie ökologisch riskante Energieversorgung“, warnt der Rat. Und damit „unnötig hohe“ Korrekturkosten, wenn die negativen Folgen des Klimawandels erst deutlicher spürbar würden. Sind die Großkraftwerke nämlich erst gebaut, haben sie eine Lebensdauer von satten 40 Jahren. So kommt der Rat zu einem vernichtenden Urteil: Mit dem vom Kabinett beschlossenen Emissionshandels-Regime „vergibt die Regierung die historische Chance einer klimaverträglichen Kraftwerkserneuerung“.

Sträflich unterschätzt würden bislang die biologischen Aerosole. Das sind luftgetragene Teilchen biologischer Herkunft, wie Pilzsporen, Viren, Bakterien oder ihre Stoffwechselprodukte. Sie verursachen zuweilen Atemwegserkrankungen und sind vor allem für Anwohner von Abfallanlagen und Intensivtierhaltung ein „nicht zu vernachlässigendes Gesundheitsrisiko“, so der Rat. Trotzdem würden Forschung und Politik diese Schadstoffe bislang „wenig beachten“.