„Diese Zahlen liefert hier niemand“

Staatsanwaltschaft mahnt: Auf Steinwurf folgen bis zu 10 Jahre Haft. Fahndungsplakat nach dem letzten 1. Mai war ein Erfolg. Aber wie viele Verurteilungen es wegen der Ausschreitungen im letzten Jahr gab, weiß sie nicht

Eine mahnende „Bilanz“ sollte es sein, die die Pressestelle der Generalsstaatsanwaltschaft Berlin gestern unter dem Titel „1. Mai-Krawalle: Teilnahme ‚kostet‘ bis zu zehn Jahre Gefängnis“ rausgab und in der es eindrucksvoll hieß: „Jeder vierte Festgenommene erhält einen Haftbefehl.“ Satz zwei der Bilanz: „Fast jeder zweite unbekannte Täter wird identifiziert.“ Damit wollte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungserfolge seit den Ausschreitungen zum 1. Mai 2003 herausstellen. Das aber blieb mürbe.

Dass von den etwa 200 festgenommenen Mai-Krawallmachern 2003, die dem Staatsanwalt vorgeführt wurden, 56 direkt im Anschluss einen Haftbefehl erhielten, war möglicherweise damals eine Neuigkeit. Wie viele von ihnen in der Zwischenzeit vor dem Kadi standen, kann die Staatsanwaltschaft aber nicht beantworten. Und was aus den anderen 144 vom Staatsanwalt wieder Freigelassenen letztlich geworden ist, „diese Zahlen liefert hier niemand“, sagt Staatsanwalt Michael Grunwald. Zu zusätzlichen etwa hundert Personen, die von der Polizei am 1. Mai 2003 festgenommen und freigelassen wurden, ohne sie der Staatsanwaltschaft vorzuführen, könne er erst recht nichts sagen. Das zu Satz eins.

Zu Satz zwei dann Näheres: Dass „fast jeder zweite zunächst unbekannte Täter“ identifiziert wird, belegt die Staatsanwaltschaft damit, dass von den 30 Mai-Randalierern, die via Fahndungsplakat gesucht wurden, 14 identifiziert worden seien. Von denen wurden bislang 5 verurteilt. Das wisse man. 5 Fälle von etwa 300 lassen sich also gezielt als abgeurteilt nachvollziehen. Immerhin. Eine Prozentzahl hierzu taucht in der „Bilanz“ allerdings nicht auf.

10 Jahre Gefängnis hat die Randale im Übrigen auch niemandem eingebracht. Aber gestern zumindest ein Jahr und vier Monate auf Bewährung Christian K. Der hatte beim Steinhagel im letzten Jahr tatkräftig mitgewirkt – und zur Strafe ein Urteil hinzunehmen, das deutlich über die einhellige Strafempfehlung von Staatsanwaltschaft und Verteidigung hinausging. Dass der Prozesstermin, den die Staatsanwaltschaft für ihre Pressemitteilung zum Anlass genommen hatte, so kurz vor dem 1. Mai angesetzt war, sei Zufall, erklärte der Richter. MARTIN KAUL