STAATSAKT FÜR MÖLLEMANN? CONTRA
: Auch die Lebenden haben Rechte

Eine Beerdigung ist eine private Angelegenheit, und die Modalitäten einer Beisetzung gehen die Öffentlichkeit nichts an. Für einen Staatsakt gilt das nicht: Er ist formaler Ausdruck des höchsten Respekts, den die Bundesrepublik als demokratisches Gemeinwesen in ihrer Gesamtheit einem Verstorbenen bezeugen kann. Es handelt sich also nicht um eine individuelle, sondern um die kollektive Würdigung eines Lebenswerkes. Begründen die Leistungen von Jürgen Möllemann eine solche Ehrung? Darüber lässt sich streiten – und das alleine genügt, um die Frage zu verneinen.

Wer mit einem Staatsakt geehrt wird, dessen persönliche Integrität muss über jeden Zweifel erhaben sein. Davon kann bei Jürgen Möllemann keine Rede sein. Diese Aussage bedeutet keinen Verstoß gegen die juristische Unschuldsvermutung, die selbstverständlich auch für ihn gelten muss – allerdings nicht über die Grenze bereits nachgewiesener Verfehlungen hinaus. Noch schwerer als das mögliche Ausmaß von Gesetzesverstößen aber wiegt die Tatsache, dass sich viele Angehörige einer religiösen Minderheit durch seine politischen Äußerungen verletzt fühlten: jüdische Deutsche.

Deren Gefühle müssen auch von jenen respektiert werden, die der Ansicht sind, man habe Möllemann mit dem Vorwurf der antisemitischen Zündelei Unrecht getan. Nicht nur die Toten haben Rechte, sondern auch die Lebenden. Wie hat man sich denn die Sitzordnung bei einem Staatsakt konkret vorzustellen? Was immer Vertreter des Zentralrates der Juden in Deutschland täten, es könnte nur falsch interpretiert werden: Blieben sie fern, dann würde ihnen Kleinlichkeit im Angesicht des Todes unterstellt. Kämen sie, dann müssten sie gewärtigen, dass ihnen das als Zeichen der Versöhnungsbereitschaft ausgelegt würde – obwohl sie Möllemann vielleicht gar nicht verzeihen wollen. Das wäre übrigens ihr gutes Recht.

Mit einem Staatsakt wird nicht nur eine bestimmte Person gewürdigt, sondern die Zeremonie soll darüber hinaus auch die Existenz einer Wertegemeinschaft bezeugen, die größere Bedeutung hat als alle tagespolitischen Meinungsverschiedenheiten. Das ist ein hoher Anspruch. Niemand wird ihm gerecht, dem die Diskriminierung von Minderheiten zur Last gelegt werden kann. Seit 1954 haben in der Bundesrepublik nur 34 Staatsakte stattgefunden, bei denen insgesamt 36 Männer und Frauen geehrt wurden. Die Zahl der Verstorbenen, die sich öffentliche Verdienste erworben haben, liegt sehr viel höher. Aber es gibt weder einen juristischen noch einen moralischen Anspruch auf diese Form der Ehrung. Dabei muss es bleiben, soll ein Staatsakt nicht zu einem sinnentleerten Ritual herabgewürdigt werden. BETTINA GAUS