Kinderreport Deutschland: Jedes neunte Kind ist arm

Laut einem Bericht des Deutschen Kinderhilfswerks verbessert die gute Konjunktur die Lage von armen Kindern nicht. Besonders stark betroffen sind Migrantenkinder.

Der Hartz IV-Satz für Kinder ist zu niedrig für eine gesunde Ernährung, sagen Experten. Bild: dpa

BERLIN taz Was Kinderarmut bedeutet, weiß Gisela Bill aus ihrer täglichen Arbeit. Ihr Verein kümmert sich seit vier Jahren um Kinder und Jugendliche, die in der Mainzer Obdachlosensiedlung "Zwerchallee" leben, rund 50 sind es zur Zeit. Zusammen mit 120 Erwachsenen wohnen sie in alten Mietskasernen in einem Industriegebiet, direkt neben einer Schnellstraße und einer Bahnstrecke. "Die Duschen sind in einem Betonkeller untergebracht", erzählt Bill. "Eine Heizung gibt es dort nicht." So schlecht wie den Kindern in der Mainzer Zwerchallee geht es nur den wenigsten der rund 15 Millionen Kinder in Deutschland. Doch als arm gilt laut Unicef inzwischen fast jedes neunte.

Diesen Zustand kritisieren Wissenschaftler und Praktiker im "Kinderreport Deutschland 2007", den das Deutsche Kinderhilfswerk an diesem Donnerstag vorstellt. "Trotz der guten wirtschaftlichen Lage und zurückgehender Arbeitslosigkeit spitzt sich die Kinderarmut weiter zu", sagte Thomas Krüger, Chef des Deutschen Kinderhilfswerks, der taz am Mittwoch. Dabei sei Armut nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch eine des Zugangs zu Bildung, Freizeitangeboten und gesunder Ernährung. In dem Report, an dem mehr als 20 Wissenschaftler, Sozialrichter und Praktiker beteiligt waren, kommen auch Kinder selbst zur Sprache. Sie wurden befragt, was für sie Armut bedeutet. Die Antworten reichen von "wenn jemand unter der Brücke schlafen muss" über "wenn man nichts machen kann" bis zu "wenn man von den Reichen gehasst wird".

Besonders von Armut betroffen sind laut dem Report Kinder aus Einwandererfamilien. So lebe allein in Nordrhein-Westfalen ein Drittel der ausländischen Kinder unter 15 Jahren von Hartz-IV, in zahlreichen Städten wie Bielefeld, Köln und Dortmund sei es fast die Hälfte. Auch wenn nicht alle Hartz-IV-Kinder nach der gängigen Definition automatisch als arm gelten dürfen, sind sie jedoch zumindest von Armut bedroht.

In den vergangenen Jahren sei bundesweit das Armutsrisiko bei Menschen mit Migrationshintergrund auf etwa ein Viertel gestiegen, heißt es im Kinderreport. Zuwanderer aus der Türkei und aus dem ehemaligen Jugoslawien seien am stärksten und am längsten von Armut betroffen. "Der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die von Armut bedroht sind, ist so gravierend hoch, dass Öffentlichkeit und Politik alarmiert sein müssen", heißt es in dem Report.

Die Autoren verlangen Konsequenzen. So fordern sie etwa, dass ein Rechtsanspruch auf einen kostenlosen Kita-Platz vom zwölften Lebensmonat an eingeführt wird. "Das ist natürlich schwierig zu finanzieren", sagte Petra Klug von der Bertelsmann-Stiftung, eine der Autorinnen des Kinderreports. Richtig sei es dennoch. Das dreigliedrige Schulsystem aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium hält sie für hinderlich, da hierdurch eine frühe Selektion und Benachteiligung von sozial Schwachen Kindern stattfinde. "Die Kinder sollten möglichst lange zusammenlernen", sagte Kinderhilfswerkschef Krüger.

Für Gisela Bill von der Mainzer Obdachlosensiedlung "Zwerchallee", die als Beispielprojekt im Kinderreport auftaucht, ist Armutsbekämpfung auch eine Frage des Geldes. Den Hartz-IV-Satz für Kinder hält sie schlicht für zu niedrig. Derzeit erhält ein Kind unter 14 Jahren 60 Prozent des Geldes, das ein Erwachsener bekommt, aktuell sind es 208 Euro. Ein Teenager über 14 bekommt 278 Euro. "Davon bekommen sie keine gesunde Ernährung hin", sagt Bill.

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