Rechtsanspruch auf Familienhilfe: Kurswechsel befürchtet

Laut einem Behördenpapier überlegen mehrere SPD-regierte Länder, den Rechtsanspruch von Eltern auf Erziehungshilfe zu kippen. Die GAL ist strikt dagegen.

Mehr solcher Fälle drohen, fürchten die Grünen: Hinter dieser Tür verhungerte die siebenjährige Jessica. Bild: dpa

Seit Jahren schon steigen die Kosten der Hilfen zur Erziehung stetig an. Da Familien einen Rechtsanspruch auf diese Unterstützung haben, bleibt Städten wie Hamburg kaum etwas übrig, als zu zahlen. Nach Informationen der GAL wollen nun die SPD-regierten Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin über den Bundesrat das Jugendhilfegesetz ändern.

Der Rechtsanspruch solle gekippt werden, sagt die GAL-Politikerin Christiane Blömeke. Das geht jedenfalls aus einem Papier hervor, das die Hamburger Sozialbehörde im Mai bei einem Treffen der SPD-Staatsräte in Berlin vorlegt hat.

Bis zum Herbst, so heißt es in dem Schreiben, soll eine Arbeitsgruppe der A-Länder "unter Federführung von Hamburg" tagen und unter anderem Eckpunkte für eine Gesetzes-Novellierung erarbeiten. Demnach macht die Erziehungshilfe in Form des individuellen Rechtsanspruchs - und die starke Stellung freier Träger - das System "immer teurer". Die Einzelfallhilfe, bei der Sozialpädagogen in die Familien gehen, laufe "in sehr vielen Fällen ins Leere".

Zu den Hilfen zur Erziehung zählen Maßnahmen, wie die ambulante Einzelfallbetreuung, sozialpädagogische Einzelbetreuung oder die stationäre Unterbringung in Heimen oder Jugendwohnungen.

Seit dem Tod der siebenjährigen Jessica im März 2005 stiegen Fallzahl und Kosten in Hamburg stetig an. Damals wurden knapp 140 Millionen Euro im Jahr ausgeben.

2006 waren es 147,9 Millionen Euro.

2007 rund 167,2 Millionen Euro. 2008 rund 191,2 Millionen Euro.

2009 rund 214,1 Millionen Euro.

2010 rund 229,1 Millionen Euro.

Für 2011 sind dafür 232,9 Millionen Euro veranschlagt.

In 2010 gab es 2.679 Fälle von sozialpädagogischer Familienhilfe. Im Durchschnitt kostete jeder Fall 15.206 Euro.

Statt eines individuellen Rechtsanspruchs auf diese Hilfe solle es eine "Gewährleistungsverpflichtung" der Kommunen geben, bei Erziehungsproblemen bedarfsgerechte Unterstützung vorzuhalten. Der Sozialarbeiter, der in die Familie geht, würde von der Regel zur Ausnahme, stattdessen soll es Gruppenangebote in Schulen oder Kitas geben, die auch verpflichtend sein sollen. Ferner soll das Gesetz so geändert werden, dass für ganze Stadtteile "Versorgungsverträge mit Trägern" abgeschlossen werden können. Bisher ist das verboten.

Die Grünen lehnen diesen Kurswechsel erklärtermaßen ab. Dort, wo sie zusammen mit der SPD regieren, würden sie eine Gesetzesänderung nicht mittragen, sagt GAL-Fraktionschef Jens Kerstan. "Es ist ein ganz großes Rad, das die SPD hier in Gang setzt." De facto werde "der Rechtsanspruch abgeschafft", so Kerstan. Die genannte Gewährleistungsverpflichtung habe nicht die gleiche Wirkung.

Käme die Gesetzesnovelle, würden die Länder sich Jugendhilfe "nur dann leisten, wenn es die Kasse hergibt", ergänzt Blömeke. In der Folge könnte es zu weiteren tragische Fälle von Kindesvernachlässigung kommen, "bei denen man nachher feststellt, dass sie zu verhindern gewesen wären".

Auch Blömeke findet es richtig, neue Wege zu gehen und etwa Eltern-Kind-Zentren verpflichtend im Gesetz zu verankern. "Es muss aber auch weiterhin die Familienhilfe geben", sagt sie. Warum, zeige sich bei den Kita-Plätzen: Diese würden in Hamburg erst spürbar ausgebaut, seit es darauf einen Rechtsanspruch gibt.

Am heutigen Freitag will Blömeke das Thema im Familienausschuss zur Sprache bringen. Außerdem reicht die GAL eine Große Anfrage an den Senat ein, in der sie auch nach der Wirksamkeit der Familienhilfen fragt. Denn die in dem kursierenden Papier behauptete Erfolglosigkeit sei mitnichten belegt.

Sozialbehördensprecherin Julia Seifert sagt, es handle sich nur um ein "Diskussionspapier", das "sehr zugespitzt" sei. Die Staatsräte der SPD-regierten Länder seien sich darin einig, dass die Erziehungshilfen besser gesteuert werden könnten. Die rechtliche Situation stehe dabei "nicht im Vordergrund". Dass es bei den geplanten Beratungen zu einer Gesetzesinitiative kommen könnte, mag Seifert nicht ausschließen.

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