Montagsinterview mit Bildungssenator Jürgen Zöllner: "Ich würde auf eine Sekundarschule gehen"

Berlins "Supersenator" für Jugend, Familie, Bildung, Wissenschaft und Forschung geht. Die taz zieht mit Jürgen Zöllner die Bilanz einer nicht ereignisarmen Amtszeit.

"Die fünf Jahre in Berlin waren die spannendsten meines Lebens": Bildungssenator Jürgen Zöllner, bald a. D. Bild: Sonja Trabandt

taz: Herr Zöllner, nach dieser Legislaturperiode verlassen Sie uns als Bildungssenator - dabei schreibt selbst die sonst selten bildungssenatorenfreundliche Pädagogengewerkschaft GEW, sie lasse Sie nur mit einem weinenden Auge gehen. Warum gehen Sie trotzdem?

Ich verlasse Sie nicht, ich bleibe in Berlin. Ich glaube aber, dass es nach 20 Jahren in der Politik Zeit ist, etwas anderes zu machen. Und ich habe Lust dazu.

In Berlin waren Sie doch nur fünf von diesen 20 Jahren!

Der Wissenschaftler: E. (Emil) Jürgen Zöllner wurde im Juli 1945 im heute tschechischen Unicov (Mährisch Neustadt) geboren. Der Arztsohn wuchs im Taunus auf und studierte Medizin. Als Biochemiker wurde er später Professor an der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität.

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Der Politiker: 1991 wechselte Zöllner in die Politik: Er wurde Wissenschaftsminister in Rheinland-Pfalz, 2006 für ein halbes Jahr auch stellvertretender Ministerpräsident. Dann holte ihn Klaus Wowereit als Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung nach Berlin. Heute ist Zöllner Deutschlands dienstältester Minister.

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Der Reformer: In Berlin setzte Zöllner eine Schulreform um, bei der Haupt-, Real- und Gesamtschulen zur Sekundarschule vereint wurden. Außerdem baute er das Modellprojekt der Gemeinschaftsschulen auf. An allen Schulformen kann man das Abitur erreichen - an den Gymnasien nach 12, an den Sekundarschulen nach 13 Jahren.

Ja. Aber es waren die aufregendsten fünf Jahre meines Lebens.

War der Rest so langweilig?

Nein.

Was war denn so aufregend?

Die Notwendigkeit und die Herausforderung, wirklich etwas verändern zu können. Die damit verbundenen Entwicklungsprozesse sowohl im Schul- als auch im Hochschulbereich sind faszinierend. Und es geht sehr lebhaft zu bei diesen Veränderungen.

Sie haben diese Prozesse aber noch nicht zu Ende gebracht.

Weil sie nie zu Ende gebracht werden können! Gute Bildungspolitik muss immer versuchen, alles noch ein bisschen besser zu machen, sodass es in diesem Sinne nie zu Ende ist. Aber, um es etwas bildhaft auszudrücken, ich glaube, wir sind in wichtigen Dingen am Point of no Return.

Sie haben mit der Beitragsfreiheit für drei Kitajahre umgesetzt, was die rot-rote Koalition vorher beschlossen hatte. Sie haben eine Schulreform angestoßen, die die Koalition vorher beschlossen hatte. Haben Sie auch eigene Akzente gesetzt?

Ich habe den Eindruck, dass wir im Kitabereich weiter sind, als ich zumindest am Anfang zu hoffen gewagt habe und auch als im Koalitionsvertrag steht. Da hat es einen Durchbruch gegeben, der sicher vom Volksbegehren der Eltern unterstützt wurde. Und wir sind in Berlin hinsichtlich einer zukunftsfähigen Schulstruktur Vorreiter in Deutschland. Auch das war so nicht im Koalitionsvertrag fixiert. Da stand nichts von der flächendeckenden Einführung der Sekundarschule als zweite Schulform neben dem Gymnasium, die jeden Schulabschluss ermöglicht. Ich meine, ein bisschen hat beides auch mit mir zu tun. Auch dass wir nach meiner Auffassung das modernste und zukunftsträchtigste Hochschulfinanzierungssystem in Deutschland haben, mit dem endlich die Hochschulen nicht mehr Subventionsempfänger sind, sondern für ihre Leistungen refinanziert werden.

Und wo wären Sie gerne noch etwas radikaler gewesen?

Ich glaube, dass das, was im vorschulischen und im schulischen Bereich erreichbar war, auch erreicht worden ist. Schneller sind Strukturveränderungen nicht umsetzbar, und ich wüsste auch gar nicht, wo man da noch weiter hätte gehen können.

Das Gymnasium abschaffen?

Wir haben in Berlin ein Zweisäulenmodell, das von allen Seiten akzeptiert wird. Ein vernünftiger Weg, den man im Umgang mit so etwas Wertvollem wie Bildung beschreiten muss. Es wird sich nur langfristig zeigen, ob sich beide Schulformen auf Dauer als das Richtige erweisen oder eine einzelne. Auch die Linkspartei fordert in ihrem aktuellen Wahlprogramm diesbezüglich keine weitergehenden Reformen. Und im Hochschulbereich war mein erklärtes Ziel, eine Politik zu machen, die auf zwei Beinen steht. Einerseits auf dem quantitativen Ausbau: das heißt, dass Berlin noch einmal rund 40 Prozent mehr Studienplätze anbietet - statt 20.000 im Jahr 2006 jetzt rund 29.000. Andererseits der Ausbau der Spitzenforschung. Rund 200 Millionen Euro pro Jahr mehr an überregionaler Forschungsfinanzierung für Berlin ist ein Beleg für eine erfolgreiche Spitzenförderung. Dass ich da möglicherweise nicht von Anfang an entschlossen genug vorgegangen bin, dass ich dadurch zwei oder zweieinhalb Jahre Zeit verloren habe, mag sein, aber ich glaube, unter dem Strich ist jetzt eine Basis gelegt.

Die Schulstrukturreform hat Sie mehr beansprucht?

Ja, die stand so auch nicht im Koalitionsvertrag: Jeder hier wäre zufrieden gewesen, hätten wir das Modell der Gemeinschaftsschule in zwölf Fällen umgesetzt. Doch heute haben wir ein System, an dem, wenn wir ehrlich sind, keine relevante Kraft in den nächsten 10, 15 Jahren etwas ändern will. Und das ist schnell und zügig gegangen und war kein vorprogrammierter Fahrplan.

Wie viele Schulen haben Sie in Ihrer Amtszeit besucht?

Ich habe nicht gezählt. Aber weil ich Berlins Schulsystem schnell kennen lernen wollte, habe ich zu Beginn meiner Amtszeit jeden Mittwoch eine Schule für zwei Stunden besucht und mit Lehrern, Schülern und Eltern über die Probleme diskutiert. Ich habe versucht, so oft wie möglich vor Ort zu sein. Aber das ist ein Problem bei einem so großen Ressort, deshalb sind alle unzufrieden mit mir. Der vorschulische Bereich meint, dass ich zu wenig in Kitas war, die Schule, dass ich zu wenig Schulen besucht habe, die Hochschule, dass ich mich bei ihnen zu selten habe blicken lassen. Und ich meine tatsächlich, dass es wichtig ist, die Dinge nicht nur vom Schreibtisch aus, sondern natürlich mit der Kenntnis vor Ort anzugehen.

Ist Ihnen in Berlin manchmal auf die Nerven gegangen, wie sehr die Leute einem Politiker hier auf die Pelle rücken können: die Eltern, die Lehrer?

Natürlich ist hier vieles anders als in einem Flächenland. Dieses Direkte, was die Meinungsbildung in Ruhe manchmal erschwert, aber auch für Klarheit und Problembewusstsein sorgt. Aber entscheidend ist, was am Ende herauskommt. Berlin ist ein kreativer Schmelztiegel, brodelnd, unordentlich, unfertig.

Und wer hat Sie am meisten genervt?

Genervt war ich nie. Ich fühlte mich vielleicht manchmal miss- oder unverstanden, mag sein. Ich bin ja auch nur ein Mensch. Und es gibt schon Dinge, die einen viel Kraft kosten, wo man meint, es wäre nicht notwendig.

Zum Beispiel?

Dass man gerade im Schulbereich ein Urteil trifft, ohne ein bisschen abzuwarten, wie sich etwas tatsächlich entwickelt.

Meinen Sie die Eltern oder die Lehrer?

Insgesamt. Dass man vorher nicht genau weiß, wie etwas nachher laufen wird, liegt in der Natur der Sache.

Ihre Partei wirbt für die bevorstehende Wahl mit dem Slogan "Berlin verstehen". Haben Sie Berlin verstanden?

Ich versuche es. Und ich weiß nicht, ob es nicht gerade der Charme von Berlin ist, dass man es nie ganz verstehen wird. Das ist ja das Spannende. Das soll jetzt aber keine Kritik am Slogan der SPD sein, den ich gut finde. Weil das der Punkt ist: Es sollte hier nur eine politische Konstellation Verantwortung tragen, die ein Verständnis für die hiesige Unterschiedlichkeit hat. Weil gerade darin die großen Stärken und ein wesentlicher Zukunftsfaktor für Berlin liegen. Aus diesen Gegensätzen erwächst das Neue, die Kreativität dieser Stadt, aus der sie letzten Endes ihre Kraft zieht. Die politische Verantwortung muss von jemandem wahrgenommen werden, der das sieht! Da ist Klaus Wowereit genau der Richtige.

Wenn Sie 14 Jahre jung wären, auf welcher Schulform fänden wir Sie?

Ich würde mich wohl für eine Sekundarschule entscheiden. Weil mir in der Schule immer die Zusatzaktivitäten den meisten Spaß gemacht haben: Sport, Arbeitsgemeinschaften. Und da sind die Angebote in einer Ganztagsschule natürlich größer.

Und wenn es dann ans Studium geht, wofür würden Sie sich entscheiden? Sie sind Biochemiker, nicht wahr?

Vom Studium her bin ich approbierter Mediziner. Rein rechtlich dürfte ich Sie medizinisch behandeln. Eigentlich wollte ich Physik und Philosophie studieren, aber da ich das Gefühl hatte, nicht gut genug für den Nobelpreis zu sein, bin ich dem dringenden Wunsch meines Vaters, der Arzt war, gefolgt und habe Medizin studiert. Ich habe ja nun lange Jahre andere Dinge gemacht. Aber daran sieht man, dass gute Ausbildung und inneres Engagement vielfältige berufliche Perspektiven ermöglichen. Und dass sich eine Spezialisierung oft erst im Laufe eines Berufslebens ergibt. Es ist nicht so wichtig, was, sondern wie man studiert: dass man interessiert ist, dass man hinterfragt, dass man reift als lernender Mensch.

Hat es Sie geärgert, als wir Sie mit Albus Dumbledore verglichen haben, dem Leiter des Internat Hogwarts, das Zauberlehrling Harry Potter besucht?

Nö. Gar nicht.

Wussten Sie überhaupt, wer das ist?

Ich habe es mir erklären lassen. Und dann hat es mich gefreut.

Warum?

Weil ich auch eitel bin.

Sie haben vorhin gesagt, Sie würden künftig etwas anderes tun. Werden Sie eine Zauberschule leiten?

Zauberschule hatte ich jetzt hier fünf Jahre! Ich weiß noch nicht, was ich tun werde. Aber wenn sich die Chance ergibt, bin ich gerne bereit, mich irgendwo im Wissenschaftsbereich zu engagieren. Weil ich glaube, dass ich da nützlich sein kann.

Sie kündigen einen Job und haben noch keinen neuen?

Ich bin oft in meinem Leben ohne Netz gewesen. Als ich hier anfing, hatte ich den Job auch noch nicht sicher. Ich erinnere mich, dass zwischen zwei Wahlgängen jemand sagte, das sei schon mutig gewesen, als von außen Kommender mit meiner bisherigen Position als stellvertretender Ministerpräsident hier anzutreten.

Warum bleiben Sie in Berlin?

Weil ich an diesem spannenden Ort sein will und meine Lebensgefährtin Berlinerin ist.

Was wollen Sie Ihrem Nachfolger oder Ihrer Nachfolgerin mit auf den Weg geben?

Wenn Sie einen Satz haben wollen: In der Ruhe liegt die Kraft.

Das ist alles, was man als Bildungssenator wissen muss?

Nun, es gibt sicher einige Dinge, die ich am Anfang falsch eingeschätzt habe, weil ich ein paar Abläufe nicht kannte. Wenn es jemand ist, der keine eigene Erfahrung mit Berlin hat, würde ich ihm schon ein paar Dinge sagen.

Was denn zum Beispiel?

Etwa, dass man von Anfang an organisatorisch und personell die Verwaltung in die Lage versetzen sollte zu machen, was sie machen muss.

Sie haben viele erfolgreiche SchulleiterInnen in die Bildungsverwaltung geholt, haben erreicht, dass sogar die GEW kürzlich schrieb, die Schulverwaltung tue alles, um Lehrerstellen pünktlich zu Schuljahresbeginn zu besetzen - noch einmal: Warum hören Sie auf?

Ich bin auch stolz darauf, dass uns gelungen ist, durchzusetzen, dass die Anzahl der neu einzustellenden Lehrkräfte nur noch vom Bildungssenator und nicht mehr vom Finanzsenator bestimmt wird. Zu Ihrer Frage: Ich habe jetzt zwanzig Jahre Politik gemacht, und ich glaube, ich habe nirgendwo verbrannte Erde hinterlassen. Aber ich will noch einmal etwas anderes machen. Ich will mein Berufsleben nicht als Politiker beschließen.

Warum nicht?

Das Leben ist nicht nur Politik. Es ist schön, Politik zu machen, aber auch anstrengend. Trete ich jetzt für weitere fünf Jahre an, bin ich nicht mehr in der Lage, mich anderswo neu zu engagieren.

Viele Politiker können von der Macht, die einem dieser Job verleiht, nicht mehr lassen. Fällt Ihnen das nicht schwer?

Ich will Dinge, die ich für wichtig halte und von denen ich denke, dass ich sie halbwegs beurteilen kann, in eine gewisse Richtung verändern. Dazu braucht man Gestaltungsmöglichkeiten. Wenn Sie das als Macht bezeichnen, dann habe ich auch Macht geschätzt. Ich wollte ja etwas verändern. Und natürlich bin ich nach Berlin gekommen, weil ich wusste, wie stark hier die Forschungslandschaft ist und dass man da an einigen Stellen gestalten kann, die für die Wissenschaft in ganz Deutschland unheimlich wichtig sind. Das wollte ich natürlich aus einer Position heraus tun, in der man etwas bewegen kann - nicht indem ich als Wissenschaftler in der Zeitung Artikel darüber schreibe. Aber Macht als Selbstzweck hat mich nie interessiert.

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