Igli Tare erlebt endlich eine schöne Zeit

In Deutschlands Fußball-Ligen meist verschmäht, unterschätzt und belächelt, erfährt der albanische Nationalmannschafts-Stürmer bei Brescia Calcio in Italiens Seria A bisher ungewohnte Wertschätzung

HERXHEIM taz ■ Igli Tare sitzt auf dem Rasen des Herxheimer Sportplatzes. Genau hier, auf dieser Wiese, ereignete sich die Geschichte seines ersten Pflichtspieleinsatzes für Südwest Ludwigshafen, vor fast elf Jahren war das. „Ein Herxheimer hat mich provoziert, ich habe mich mit einem Ellbogencheck revanchiert und sah die rote Karte. Das war’s“, erinnert sich der Allbaner. Eigentlich könnte er heute darüber lachen. Tut er aber nicht. Sondern er sagt: „Nein, die Zeit in Ludwigshafen war nicht schön.“

Tare ist keiner, der sich die Dinge im Nachhinein schönredet. Igli Tare, 29 Jahre alt, ist mittlerweile Fußballprofi bei Brescia Calcio in Italiens Seria A und Nationalspieler. Hans-Peter Briegel, der Nationaltrainer Albaniens, hat seine Auswahl für eine Woche in der Südpfalz zusammengezogen, zur Vorbereitung auf die beiden EM-Qualifikationsspiele. Morgen geht’s für die Skipetaren in Dublin gegen Irland, nächsten Mittwoch in Genf gegen die Schweiz. Als Tabellendritter haben die Albaner sogar noch Chancen auf eine Teilnahme an der EM 2004 in Portugal. Briegel glaubt zwar: „So weit sind wir noch nicht.“ Sein Stürmer Tare aber sagt: „Man muss es probieren.“

Man muss es probieren – bei Igli Tare ist dieser Satz mehr als nur der Ausdruck romantischer Hoffnungen eines Underdogs. Nirgends in seiner Fußballerkarriere wurde er mit offenen Armen empfangen, überall schlug ihm Skepsis entgegen, manchmal blanker Hass – im schlimmsten Fall wurde er belächelt. 1992 kam er als 18-Jähriger nach Deutschland. Er hatte nichts und niemanden. Außer Walter Pradt. Walter Pradt arbeitete damals beim Ludwigshafener Sozialamt und war Trainer von Südwest Ludwigshafen. Er wies Tare eine Adresse auf einem Boot im Ludwigshafener Hafen zu, das Essen brachte ihm der Masseur, die Sprache brachte er sich mühsam selbst bei. Auch sportlich lief nicht viel zusammen. Der 1,91 m große Hüne schleppte zu viele Kilo über die Sportplätze. Und er war kein Ausnahmetalent, kein Rohdiamant. Eher sahen viele in ihm einen untalentierten Klotz. „Ich war überhaupt nicht integriert und zog mich immer mehr zurück“, erinnert sich Tare.

Dennoch wechselte er eine Klasse höher und auf die andere Rheinseite zum VfR Mannheim, und wie bei allen späteren Wechseln – von Mannheim nach Karlsruhe, vom KSC nach Düsseldorf, von Düsseldorf nach Kaiserslautern und von dort nach Brescia – wurde immer gefragt: „Was will der denn hier?“ Aber Tare fiel immer eine Stufe nach oben. Beim KSC zeigte er seine Stärken: Zuspiele auf die nachrückenden Mittelfeldakteure prallen lassen. Er lebte professionell, arbeitete hart, und Winnie Schäfer gab ihm eine Chance in der Bundesliga. Aber an Sean Dundee, auch er damals Karlsruher, kam er nicht vorbei. Also zog er weiter nach Düsseldorf, in die zweite Liga. Bei der Fortuna schoss er Tore und wurde zum Hoffnungsträger. Und in der Düsseldorfer Zeit machte er das Spiel seines Lebens: Bei der 3:4- Niederlage Albaniens gegen Deutschland im Oktober 1997 in Hannover schoss er nicht nur ein Tor, sondern spielte auch noch Jürgen Kohler schwindlig. „Seit diesem Tag hatte ich endlich Selbstvertrauen“, sagt Tare.

Vielleicht sogar ein bisschen zu viel. Als es nicht mehr lief in der Altbierstadt und sein Wechsel nach Kaiserslautern feststand, wurde er plötzlich zum Sündenbock. Tare fragte selbstbewusst: „Was wollt ihr? Ich bin Erstligaspieler.“ Und der Boulevard eröffnete die Hetzjagd; sogar die Reifen seines Autos wurden von aufgebrachten Fans zerstochen. In Kaiserslautern dann war die Konkurrenz zu groß – und nachdem sein Mentor Otto Rehhagel ging, war es endgültig aus. Auch Tare musste gehen.

550.000 Euro kassierte der FCK von Brescia. Tare war froh, Deutschland zu verlassen. 33 Einsätze und sechs Tore weist seine Statistik der letzten Saison für den italienischen Erstligisten auf. Noch zwei Jahre läuft sein Vertrag. „Endlich akzeptieren mich Mitspieler, Verein und Umfeld“, erzählt Tare. Und dann sagt er den Satz, den er in Deutschland in neun Jahren und bei fünf Vereinen nicht über seine Lippen brachte: „Es war eine schöne Zeit.“ Weil er ein gebranntes Kind ist, fügt er an: „Bis jetzt!“

TOBIAS SCHÄCHTER