„Es gibt so viele Ängste“

INTERVIEW LUKAS WALLRAFF
UND PHILIPP GESSLER

taz: Herr Bischof, vor knapp drei Jahren, nach den Anschlägen vom 11. September, haben Sie gesagt, es gehe nicht um einen Kampf der Kulturen. Seitdem gab es den Irakkrieg, viele weitere Attentate und schärfere Maßnahmen gegen Islamisten, auch in Europa. Bleiben Sie trotzdem bei Ihrer These?

Wolfgang Huber: Ja, wir dürfen die Terroristen nicht gleichsetzen mit dem Islam insgesamt und ein pauschales, kollektives Feindbild zeichnen. Genau diese Totalisierung, die im Begriff des Kampfes der Kulturen steckt, dürfen wir uns nicht zu eigen machen. Es kommt jetzt darauf an, dass sich die großen monotheistischen Religionen, auch in Deutschland, darin einig werden, dass Terror keine religiös begründbare Handlungsweise ist.

Haben Sie da Zweifel, was die Vertreter der Muslime in Deutschland betrifft?

Ich habe große Schwierigkeiten, überhaupt die Frage zu beantworten, wer denn eigentlich die Vertreter des Islam in Deutschland sind. Ich traue mir kein Urteil zu, für wie viele Prozent der Muslime eigentlich welcher Sprecher spricht. Deshalb hüte ich mich auch davor, Gesamteinschätzungen des Islam in Deutschland abzugeben.

Das klingt, als hätten Sie Misstrauen in die Friedfertigkeit der Muslime in Deutschland. Müssten sie sich stärker vom Terror distanzieren, etwa mit Demonstrationen?

Es hat mit Misstrauen nichts zu tun, wenn man sich mehr Transparenz und Klarheit wünscht. Natürlich wäre es schön, wenn es Demonstrationen gäbe. Was ich aber vor allem wissen möchte, ist, was in den Moscheen und Koranschulen in Deutschland gelehrt wird über die Frage des Märtyrertums, welche Positionen da vertreten werden. Darum geht es doch. Ich sehe mit großer Sorge, dass jetzt Kinder in Palästina, zum Teil behinderte Kinder, zu Selbstmordattentätern, nein, eher müsste ich sagen, zu Instrumenten gemacht werden. Da zu hören, dass es eine verlässliche Grundhaltung gibt, die sich auch umsetzt in dem, was in den Freitagsgebeten gepredigt und in den Koranschulen gelehrt wird – das wäre wichtig zu wissen.

Wie sollte und kann die deutsche Mehrheitsgesellschaft darauf Einfluss nehmen?

Dadurch, dass wir verstärkt versuchen, mit unseren muslimischen Nachbarn ins Gespräch zu kommen. Wir müssen eine weitere Vertiefung der Gräben zwischen Parallelgesellschaften verhindern. Wir brauchen einen viel breiteren Dialog – aber nicht auf Basis einer interreligiösen Schummelei. Wir müssen auch kritische Fragen ansprechen.

Ist es ein guter Anfang für den von Ihnen angestrebten Dialog, wenn das Kopftuch für Lehrerinnen verboten wird, christliche Symbole aber nicht?

Den Weg, den Baden-Württemberg beschritten hat, halte ich in der Tat für richtig. Er berücksichtigt, dass das Kopftuch keineswegs nur ein religiöses Symbol ist. Es impliziert politische Deutungen. Diese politischen Deutungen begründen Zweifel daran, dass jemand, der darauf beharrt, das Kopftuch im Unterricht zu tragen, durch sein gesamtes Verhalten für die Grundlagen unserer Verfassungsordnung eintritt. Dabei muss man in diesem Fall insbesondere an den Artikel 3 des Grundgesetzes, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, denken.

Nun gehört die katholische Kirche auch nicht unbedingt zu den Vorreitern, was die Gleichberechtigung betrifft …

Ich weiß nicht, warum Sie mich jetzt mit einer Frage nach der katholischen Kirche konfrontieren, wenn ich Ihnen die Position der evangelischen Kirche zu diesem Thema darlege.

Weil es um das gemeinsame Zeichen des Kreuzes in der Schule geht und weil man Lehrern mit ähnlichen Begründungen, mit der Sie für das Kopftuchverbot eintreten, auch das Tragen eines Kreuzes verbieten könnte.

Eben gerade nicht. Bei Ihrer Bezugnahme auf die katholische Kirche muss man doch zwei Dinge unterscheiden: Zum einen die Tatsache, dass die katholische Kirche an der Überzeugung festhält, dass zum Priesteramt nur Männer zugelassen werden. Ich bin kein Anwalt dieser Regelung; wir haben die Frauenordination. Aber zum anderen besteht doch überhaupt kein Zweifel daran, dass die katholische Kirche im politischen und gesellschaftlichen Leben eindeutig für die Gleichberechtigung von Mann und Frau eintritt. Genau diese Unterscheidung zwischen religiöser und politischer Sphäre ist dem Islam bis heute grundlegend fremd. Der Islam bejaht leider nicht die aufgeklärte Säkularität der politischen Ordnung. Unsere Rechtskultur dürfen wir nicht zur Disposition stellen – auch nicht um des Dialogs mit den Muslimen willen.

Sie treten auch in der Diskussion um einen EU-Beitritt der Türkei auf die Bremse. Wäre der Beitritt nicht ein Zeichen gegen den „Clash“ der Kulturen?

Eine schrittweise Annäherung der Türkei an Europa wäre in der Tat ein wunderbares Zeichen. Ich kann aber nicht einsehen, wieso wir im April 2004 vorrangig über die Türkei diskutieren sollen, statt darüber, was vom 1. Mai an ansteht, nämlich die Osterweiterung der EU, die Ostverschiebung unseres Europabilds. Da gibt es so viele Ängste, auf die wir erst einmal eingehen müssen. Wir dürfen die Bürger nicht überfordern. Das war mein Einwand.

Aber doch nicht nur. Sie haben von der Türkei auch „mehr Respekt“ verlangt. Warum?

Ich habe mich auf die abfällige Äußerung von Ministerpräsident Erdogan bezogen, Europa sei „kein christlicher Club“. Europa als „Club“ zu bezeichnen, verstehe ich nicht gerade als Ausdruck der Hochschätzung. Ich kann es nur so verstehen, dass man die christliche Prägung Europas nicht mehr ernst zu nehmen braucht. Insofern halte ich diese Äußerung für ausgesprochen schädlich für das, was Herr Erdogan eigentlich will.

Wenn die Türkei die EU-Kriterien erfüllt, hat sie dann nicht Anspruch auf Beitrittsverhandlungen – nach jahrzehntelangen Versprechungen?

Das will ich gar nicht bestreiten. Ich habe auch mit keinem Wort gesagt, dass ich eine deutsche Politik kritisieren wollte, die in dieser Richtung bedachtsam weitergehen würde. Was mich stört, ist das Hauruckverfahren. Das überfordert die Menschen – hier und in der Türkei, wo im Übrigen noch längst nicht alle Probleme so gelöst wurden, wie es momentan suggeriert wird. Bei der Kurdenfrage und dem Verhältnis zur eigenen Vergangenheit, etwa zum Armenien-Genozid, ist die Türkei noch weit von europäischen Standards entfernt.

Herr Bischof, Sie haben sich kürzlich auch in die Debatte um die innere Sicherheit eingeschaltet und für harte Maßnahmen gegen islamistische Terroristen plädiert. Ist Ihnen die Politik in diesem Bereich zu lasch?

Nein.

Man konnte Sie aber so verstehen.

Diejenigen, die mich kritisieren, haben nur eine Überschrift gelesen, die nicht von mir stammt. Ich habe mich nie für Abschiebungen auf einen bloßen Verdacht hin ausgesprochen. Im Gegenteil. Ich habe allerdings erklärt, und dabei bleibe ich: Wenn es Tatsachen gibt, die für eine Beteiligung an terroristischen Aktivitäten sprechen, muss es möglich sein, solche Menschen abzuschieben.

Die „Initiative Kirche von unten“ meint, es stünde Ihnen besser an, über Defizite bei Menschenrechten zu sprechen als in der Abschiebepraxis.

Es ist richtig, dass man auch im Blick auf solche Situationen auf die Menschenrechte achten muss. Deshalb unterstreiche ich: Es darf keine Abschiebungen geben, wenn Folter oder Todesstrafe drohen. Ich bin aber auch Anwalt der Menschenrechte derjenigen, die sich von Terrorismus bedroht fühlen – und ich kann die „Initiative Kirche von unten“ nur auffordern, auch beides im Blick zu haben.

Welche Konsequenz ziehen Sie daraus? Muss es schärfere Gesetze geben?

Nein. Aus meiner Sicht reichen die geltenden Gesetze aus. Aber gerade wer weitere Verschärfungen verhindern möchte, muss akzeptieren, dass zunächst einmal die Instrumentarien, die es gibt, auch angewendet werden.

Sind Abschiebungen wirklich ein wirksames Mittel gegen Terrorismus? Können gewaltbereite Menschen ihre Aktionen dann nicht in anderen Ländern fortsetzen?

Diese Befürchtung ist berechtigt. Gleichzeitig können wir uns nicht einbilden, von Deutschland aus die Probleme aller Länder zu lösen.

Glauben Sie, dass der deutsche Rechtsstaat gefestigt genug ist, besonnen zu reagieren, wenn es hier Anschläge gibt?

Im Vordergrund steht jetzt, dass ich dringend hoffe, dass das nicht passiert. Mein Zutrauen zu Deutschland als Rechtsstaat ist stark.