„Eine andere Form der Bibel“

War der Islam ursprünglich eine Strömung des Christentums? Der Koranforscher Christoph Luxenberg sagt: Der Aspekt der Religionsgründung kam erst nachträglich aus politischen Gründen ins Spiel. Ein Gespräch über den Glauben an die Auferstehung und fundamentale Fehlinterpretationen des Korans

INTERVIEW EDITH KRESTA

taz: Herr Luxenberg, Sie führen viele Stellen im Koran auf christliche Wurzeln zurück. Steht denn was zum Osterfest drin?

Christoph Luxenberg: Das Osterfest selbst wird im Koran nicht genannt. Allerdings gibt es drei Koranstellen, die auf Christi Tod und Auferstehung eindeutig anspielen, das sind: Mariensure, Vers 33: „Heil über mich (spricht Jesus) an dem Tag, da ich geboren wurde, an dem Tag, da ich sterben, und an dem Tag, da ich wieder auferstehen werde.“ Und Sure 3 (Sippe Imran) Vers 55: „Gott sprach: O Jesus, ich werde dich sterben lassen und dich zu mir erheben und dich von (der Schmähung) derer, die (dich) verleugnet haben, reinigen und jene, die dir folgen, über diejenigen stellen, die (dich) verleugnet haben bis zum Tage der Auferstehung.“ Nach diesem bedeutenden Vers müssten die Muslime eigentlich nicht weniger christlich sein als die Christen selbst.

Sure 5 (die Tafel) Vers 115 bringt ein Zwiegespräch zwischen Gott und Jesus nach dessen Himmelfahrt. Auf die Frage Gottes, ob Jesus den Menschen erzählt habe, dass er und seine Mutter Götter seien, wehrt sich Jesus gegen diesen Vorwurf und schließt in Vers 117 mit den Worten ab: „Ich habe sie (die Menschen) gemahnt, solange ich unter ihnen weilte. Nachdem du mich aber hast sterben lassen, hattest du (nunmehr) die Aufsicht über sie.“

Aber die Muslime glauben doch nicht an die Kreuzigung. Oder doch?

Im Koran ist der Tod Christi bezeugt. Dies steht aber in diametralem Widerspruch zur bisherigen Fehlinterpretation der einzigen Koranpassage, in der von der Kreuzigung die Rede ist. In Sure 4 (die Frauen) Vers 157 nimmt der Koran zu der Behauptung der Juden, sie hätten Christus getötet, nach bisherigem Verständnis mit folgenden Worten Stellung: „Dabei haben sie ihn weder getötet noch gekreuzigt, vielmehr (war es ein anderer, der ihm) ähnlich sah.“ Der scheinbare koranische Widerspruch wird aber aufgehoben, wenn man diese Passage philologisch folgendermaßen versteht: „Dabei haben sie ihn nicht getötet – und insoweit nicht gekreuzigt; vielmehr schien ihnen dies.“

Das heißt: Es schien ihnen, als ob sie ihn durch die Kreuzigung getötet hätten. Das „Scheinen“ bezieht sich demnach hier auf das „Töten“, nicht auf die „Kreuzigung“. Dies bestätigt auch die abschließende koranische Aussage des zitierten Verses: „Eigentlich haben sie ihn (durch die Kreuzigung) nicht getötet!“ Die philologische Begründung dieses Verständnisses folgt in meiner nächsten Buchpublikation. Bekanntlich hat die Fehlinterpretation dieser zentralen Koranstelle zu einer seit Jahrhunderten andauernden Polemik zwischen Islam und Christentum geführt.

Philologisch Unbedarfte können Ihnen nur schwer folgen.

Deshalb zitieren auch viele meine Arbeit nur aus zweiter Hand.

Sie behaupten letztlich, der Koran sei nur eine andere Form der Bibel?

Was die ursprüngliche Intention des Propheten betrifft, nichts anderes. Der Koran beruft sich immer wieder auf die Bibel. Eigentlich vertritt der Koran teilweise eine orientalische Strömung des Christentums. Denn das, was man heute Christentum nennt, ist im Wesentlichen vom römisch-byzantinischen Denken geprägt.

Und wie viel von der christlichen Mythologie steckt im Koran?

Was Christus und Maria betrifft, ist der Koran bezüglich der wunderbaren Geburt Christi deckungsgleich. Hier herrscht eine Übereinstimmung, die zum Beispiel vom Judentum nicht geteilt wird. Die politische Entwicklung des Islam hat aber zur Ablehnung der Bibel geführt. Nach dem Willen der islamischen Theologen sollte nunmehr der Koran als heilige Schrift die ausschließliche Grundlage der neuen Religion bilden.

Wie kam es Ihrer Meinung nach zu dieser Abkoppelung?

Die historische Entwicklung des Islam zeigt, dass sie politisch bedingt war. Nachdem das arabische Reich sich etabliert hatte, ist wohl das Bedürfnis entstanden, von den Christen, mit denen die Araber in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt wurden, Abstand zu nehmen und eine eigene Religion zu gründen.

Der Islam als arabische Weltanschauung?

Ja. Er sollte gewissermaßen als Ideologie dienen, die ihre Effizienz bei der Bildung eines arabischen Nationalbewusstseins und einer einheitlichen arabischen Sprache und Kultur nachhaltig bewiesen hat. So lässt sich historisch nachvollziehen, weshalb eine Trennung von „Religion und Staat“ im Islam – bisher jedenfalls – undenkbar ist, wenn auch eine aufgeklärte muslimische Elite sich verstärkt dafür einsetzt.

Sie haben Ihre Thesen aus Ihrer sprachwissenschaftlichen Forschung entwickelt. Sie behaupten, viele dunkle Stellen im Koran lassen sich durch die „syrisch-aramäische Lesart des Koran“ deuten. Wie kamen Sie darauf?

Arabisch wurde sprachhistorisch als älter eingestuft als das Aramäische. Dies erweist sich aber nun als sprachhistorischer Irrtum. Arabisch war vor dem im 7. Jahrhundert entstandenen Koran keine Schriftsprache. Schriftsprache war seit über tausend Jahren davor das Aramäische. Selbst das Wort „arabisch, Araber“ ist unarabisch. Im Aramäischen kann es sowohl einen „Wüstenbewohner“ als auch einen „Hirten“ bezeichnen. Auch die Namen von Mekka und Medina sind aramäisch. Als man die grammatischen Regeln des klassischen Arabisch gegen Ende des 8. Jahrhunderts festlegte, bezog man sich sowohl auf den Korantext als auch auf die angeblich mündlich überlieferte altarabische Poesie, die aber erst im 9./10. Jahrhundert gesammelt und dokumentiert wurde.

Wollen Sie den Koran frauenfreundlicher und hoffähig machen, wenn Sie beispielsweise die schönen Jungfrauen, die die Männer beim glücklichen Einzug ins Paradies erwarten, mit weißen Weintrauben übersetzten? Kritiker werfen Ihnen Prüderie gegenüber der Sinnlichkeit des Korans vor.

Bezeugt ist im Koran nur das Wort „hur“. Dieses Wort ist etymologisch aramäisch und bedeutet „weiß“. Es gehört viel Phantasie dazu, in den „weißen Weintrauben“, die die syro-aramäischen Lexika zuverlässig belegen, vermeintliche „Huris“ zu sehen, die die zweifellos nachkoranische arabische Poesie zur männlichen Beglückung ebenso fälschlich besungen hat. Es war gewiss und ausschließlich Männerfantasie, die bei den erträumten „Huris“ oder „Paradiesjungfrauen“ Pate gestanden hat.

Und wie steht es um das Kopftuch im Koran?

In Sure 24 Vers 31 gibt es eine besondere Passage, auf die man sich bisher zur Rechtfertigung des Kopftuches berufen hat. Diese Stelle habe ich philologisch erörtert. Im Ergebnis stellte sich heraus, dass es sich hierbei gar nicht um ein Kopftuch, sondern um einen Gürtel handelt. Arabisch wörtlich verstanden, lautet diese Passage: „Sie (die Frauen) sollen ihre ,Chumur‘ auf ihre ,Taschen‘ schlagen.“ Syro-aramäisch aber richtig verstanden, lautet der eigentliche Sinn: „Sie sollen sich ihren Gürtel um die Hüften schnallen.“ Der koranische Satz erweist sich somit als getreue Wiedergabe einer geläufigen aramäischen phraseologischen Einheit.

Was halten Sie von der Kopftuchdiskussion hier?

Dass man dieses Thema politisch ausschlachtet, stört mich. Gegen das Kopftuch selbst hätte ich nichts einzuwenden. Sollte man eine Lehrerin mit freizügiger Kleidung vorziehen? Jetzt wird man mir wieder Prüderie vorwerfen. Fraglich wird es hingegen, wenn man das Kopftuch als Mittel zu politischen Zwecken einsetzt. Dass dies die Öffentlichkeit hier irritiert, ist verständlich. Das Kopftuch selbst hat nichts spezifisch Islamisches. Es ist Brauchtum, wie es teilweise unter Christen in Orient und Okzident noch fortbesteht.

Sie schreiben unter Pseudonym, wann wollen Sie sich outen?

Ich muss die weiteren Reaktionen abwarten, denn die islamische Welt hat mein Buch noch nicht richtig rezipiert. Die Reaktionen beziehen sich bisher in der Regel auf Medienberichte. Die eigentliche Diskussion läuft erst in Europa.

Fürchten Sie, als Ketzer bedroht zu werden?

Ich weiß nicht, wie darauf reagiert wird, wenn das Buch einmal ins Arabische oder Englische übersetzt worden ist. Die englische Version wird mehr zeigen. Doch die meisten Muslime sind nicht fanatisch. Ich kenne viele Muslime, die brennend daran interessiert sind, ihren Koran richtig zu verstehen. Bei diesen Muslimen habe ich – viel eher als bei manchen Islamwissenschaftlern – die Bereitschaft verspürt, meine Erklärungen zu akzeptieren, weil Sie darin mehr Sinn sehen.

Haben Sie schon einen internationalen Verleger?

Ich stehe mit solchen in Verhandlung.

Was bedeuten Ihre Thesen für den Dialog der Religionen?

Ich sehe darin eine Chance, sie einander näher zu bringen.

Wie weit sind Sie mit Ihrem zweiten Buch?

Ich hoffe, bis Ende des Jahres damit soweit zu sein.

Werden Sie darin Ihre sprachwissenschaftlichen Untersuchungen fortführen?

Ja, ich werde weiterhin einzelne Fallbeispiele darlegen, aber auch größere zusammenhängende Stücke bearbeiten. Zuvor werde ich auf die aramäische Struktur der Koransprache im Detail eingehen. Dies wird zeigen, in welchem Umfang das Arabische vom Aramäischen durchdrungen ist. Das erste Buch wollte nur eine Einführung sein. Das Wichtigste kommt erst.

Und was sagen Sie genauer?

Unter anderem werde ich den ersten zusammenhängenden Abschnitt der Mariensure (Vers 1–33) neu besprechen. Ein weiterer zusammenhängender Text wird sich auf die Person des Propheten beziehen. Die syro-aramäische Sprachanalyse wird darin Details offenbaren, die manche Angaben aus der Biografie des Propheten bestätigen werden. Mit weiteren Überraschungen kann gerechnet werden.