Kühle Steinigungsszenen

Verfeinerte Form und die Schrecken der Realität: Arbeiten der Exiliranerin Parastou Forouhar in Berlin

von HARALD FRICKE

Die Frankfurter Erklärung deutscher Intellektueller erschien im Dezember 1998. Nachdem in den Monaten zuvor zahlreiche Oppositionelle im Iran ermordet worden waren, galt der Aufruf den Staaten und Gremien der Europäischen Union. Sie sollten „unverzüglich eine offizielle Delegation nach Iran entsenden mit dem Auftrag, dort die Einhaltung der Menschenrechte, die Aufklärung der Verbrechen und die juristische Verfolgung der Täter zu verlangen“. Der Appell hatte kaum Wirkung, die internationale Gemeinschaft brachte nicht einmal eine Solidarnote fertig. Das muss besonders für die Gegner der Chatami-Regierung enttäuschend gewesen sein – lässt der Westen die Demokratiebewegungen des Iran im Stich?

Mittlerweile haben sich die Parameter durch den Irakkrieg verschoben. Die Demokratisierung arabischer Länder ist scheinbar nicht mehr aus der Logik militärischer Einsätze herauszutrennen. Gern würden die USA bald im Iran damit beginnen, das nächste Rad auf der „Achse des Bösen“ zu demontieren. Auch diese Operation ließe sich kaum als Sieg der Opposition verbuchen. Sie wäre wohl nur Zaungast bei der Herstellung einer von den US-Thinktanks erdachten Weltordnung.

Über solche Konflikte wird unweigerlich nachdenken, wer in Berlin die Ausstellung „Tausend und ein Tag“ von Parastou Forouhar im Hamburger Bahnhof betritt. Forouhar wurde 1962 in Teheran geboren und studierte dort zwischen 1984 und 1990 Kunst, bevor sie ein Jahr später nach Deutschland ins Exil ging. Die Frankfurter Erklärung kam auch wegen ihres Engagements zustande: Am 22. November 1998 waren die Eltern, die regimekritischen Politiker Darjush Forouhar und Parvaneh Eskanderi, in ihrer Wohnung ermordet worden; nach den Tätern wurde niemals ernsthaft gefahndet.

Seither versucht Forouhar, das Verbrechen aufzuklären. Immer wieder ist sie nach Teheran gereist, hat bei Behörden vorgesprochen, hat um Nachforschungen gebeten. Vergeblich. Geblieben ist ein endloser Schriftverkehr, der in Berlin schlicht als „Dokumentation“ betitelter Handapparat ausliegt, damit Besucher die Briefe, Artikel und Flugblätter kopieren können. Das ist aktive Erinnerungs- und Trauerarbeit zugleich.

Trotzdem wäre es ein falscher Schluss, wollte man Forouhars Arbeit auf einen Infopool zur iranischen Gegenöffentlichkeit reduzieren. Die Politik ist der Motor, der ihre Kunst antreibt; die Formensprache indes findet sie in der gegenwärtigen Kultur ihrer Heimat. Schon am Eingang stehen versprengt Bürostühle herum, die mit Stoffen bezogen wurden, auf denen in Farsi Anrufungen der diversen Märtyrer gedruckt sind, die für die angeblich islamische Sache gestorben sind. Diese Fahnen sind Devotionalien, die im Iran reißenden Absatz finden – der Gottesstaat schafft sich Images, die eine ideologisch aufgeladene Ökonomie der Zeichen bilden.

Doch unter den bunten Oberflächen aus Kitschmoscheen und Mullahporträts liegt bleischwer die Bürokratie eines totalitären Systems. Es ist dieser alltägliche Terror des Regimes, den Forouhar in ihrer Arbeit aufgreift. Sei es, indem sie per Diashow Aufnahmen aus Teheran zeigt, auf denen das Stadtbild von überdimensionalen Wandmalereien mit Geistlichen und Selbstmordattentätern dominiert wird. Sei es, indem sie für das Video „Schuhe ausziehen“ mit Zeichnungen dokumentiert, wie sie in den Amtsstuben Teherans wochenlang bei den Recherchen zu der Ermordung ihrer Eltern hingehalten wurde. Dann sitzen sich verschleierte Frauen und Männer in Uniform gegenüber. Ihre Gesichter sind von Forouhar als weiße Flächen ausgespart worden, weil der religiös-militärische Komplex keine Individualität zulässt.

Diese Leerstellen des Privaten werden durch ein Spiel mit Ornamenten ergänzt. Mal sind es von Forouhar am Computer entworfene Schadorstoffe, deren Musterung aus kaum erkennbaren Genitalien besteht. Gegenüber ist wiederum eine über 30 Meter lange Museumswand mit abstrahierten Folter- und Steinigungsszenen ebenso kühl und versachlicht tapeziert. Ständig ist man als Besucher dieser Spannung zwischen verfeinerter Form und den Schrecken der Realität ausgesetzt. Indem sich alle Bildelemente bei Forouhar ineinander fügen, wird die Kluft zur restriktiven Gesellschaftsordnung im Iran sichtbar – man ist still umfangen von einem Gefängnis der visuellen Norm.

Mit der siebenteiligen Fotoarbeit „Blindspot“ tritt die Absage an religiöse Autorität am stärksten hervor. Forouhar hat Männer in Schleier gehüllt, nur der stoppelige Hinterkopf sticht aus dem schwarzen Stoff hervor. Zeigen durfte sie diese Fotos im Iran nicht: Als vor wenigen Monaten eine Ausstellung in Teheran stattfinden sollte, erhielt die privat betriebene Galerie Drohbriefe. Forouhar ließ daraufhin die Räume leer – schließlich ist auch das Schweigen ein klares Statement, das viel Platz für Fantasie schafft. Sogar in einem bilderfeindlichen Land.

Bis 29. Juni. Katalog: 12 €