Allein es fehlt der Glaube

Was bleibt nach den Protesten gegen Sozialabbau? Auf jeden Fall keine neue soziale Bewegung.Vor allem die Jungen und Gebildeten zweifeln an den Zielen, die diese Bewegung zu bieten hätte

VON DANIEL SCHULZ

Eine halbe Million Menschen waren am Wochenende gegen Sozialabbau auf der Straße. Das ist beeindruckend. Viele sind aber weggeblieben – vor allem die große Menge der mobilen, gebildeten, städtischen Jungen. Warum? Während des Irakkrieges demonstrierten genau die sich für aufgeklärt haltenden Ungebundenen mit denen, die sie sonst dogmatische Spinner schimpften. Man könnte nun die Wegbleibenden als Polityuppies schimpfen. Besser aber sollten diejenigen, die eine neue soziale Bewegung wollen, versuchen, sie zu verstehen.

So sehr die Polityuppies an der Politik von Rot-Grün zweifeln, so sehr zweifeln sie auch an den Botschaften der Regierungsgegner. Sie würden gerne an etwas glauben. Allerdings nicht an 30 Jahre alte Sprüche und an ein „Weiter so“. Was vom Wochenende übrig blieb, waren die Worte des DGB-Chefs Michael Sommer: „Lasst es einfach sein.“ Nichts schien den Demo-Abstinenten erwartbarer. Wie soll man einer Bewegung glauben können, die Stillstand heißt? Es ist jedermanns gutes Recht dafür zu kämpfen, dass es ihm gut geht. Sogar dafür, dass es ihm sehr gut geht. Jedem seinen Zweitwagen. Die Menschen, die nicht zur Demo gegangen sind, haben aber begriffen, was ihrer Meinung nach die Gewerkschaften nicht begreifen: Ein Opel Corsa tut es auch. Und: Es ist nicht gerecht, Auto zu fahren, wenn sich andere nicht einmal ein Fahrrad leisten können. Veränderungen in Deutschland sind notwendig. Eine Veränderung weltweit ist notwendig. Attac weiß das übrigens. Doch von Attac haben die Demonstrationen für alle jene nichts vermittelt, die nicht da waren.

Außerdem misstrauen die kritischen Jungen sowohl Attac als auch den Gewerkschaften. „In meinen Vorlesungen sehe ich die unglaubliche Ablehnung der Gewerkschaften durch die Studenten“, sagt der Leipziger Politikwissenschaftler Christian Fenner. Fenner findet, dass die Medien große Schuld an diesem Zustand haben, weil sie die Gewerkschaften oft böswillig schlecht darstellen. Er hat Recht. Aber ein tragfähiger Alternativvorschlag zur derzeitigen Politik könnte von keiner Zeitung und keinem Sender ignoriert werden. Das wissen vor allem die, die sich gut informieren. Ihre Schlussfolgerung: Die Gewerkschaften haben keine Alternative.

Attac genügte am Anfang dem Anspruch der Polityuppies – flexibel, neu, spektakulär, visionär und dabei noch glaubwürdig. Je länger die Gruppe allerdings auf dem politischen Markt ist, desto mehr fragt ihre Klientel nach Ergebnissen. Nach Effizienz. Was habt ihr erreicht? Attac wird die Handlungsfähigkeit abgesprochen. Dies ist nicht gerecht, denn Attac hat durch Druck auf die Politik etwas bewegt. Jedoch scheint das nicht zu reichen.

Die Demo-Verweigerer werfen den Protestbewegungen auch vor, keine Alternativen zu haben. Das ist unrealistisches Anspruchsdenken. Demonstrationen sind ihrem Namen nach Ereignisse, die etwas zeigen sollen – Protest. Erklären muss man sich allerdings dann, wenn aus den Demonstrationen eine Bewegung werden soll. Eine Bewegung braucht ein Ziel, sonst wird sie zu einem Umherirren. Dieses Gefühl haben die Polityuppies ohnehin schon. Sie wollen ein Ziel und merken dabei, wie schwer es ist, eines zu definieren. Gerade zwischen so unterschiedlichen Gruppen wie Attac und den Gewerkschaften. Auf der einen Seite das Eintreten für eine bestimmte Interessengruppe, auf der anderen Seite das Eintreten für weltweit mehr Gerechtigkeit. Natürlich verlaufen die Konfliktlinien nicht schwarz-weiß. Sie sind aber da, wie der Streit zwischen Attac-Vertretern und Gewerkschaftlern zeigt. Polityuppies sind Individualisten. Sie erkennen die Gegensätze der verschiedenen Interessengruppen an. Sie wollen sich selbst nicht von einer Organisation vereinnahmen lassen. Trotzdem zweifeln sie an einer Bewegung, die so viele Interessen vertreten soll.

Völlig unglaubwürdig erschienen diesen Menschen die Beteuerungen Sommers auf der Demo: „Wir lassen uns nicht spalten!“ Die jungen gebildeten Individualisten wollen eine Bewegung, die ihre Verwerfungen offen legt. Daraus sollte ein Programm entwickelt werden, das beide Positionen in einer linken Vision vereint. Wäre das allerdings so einfach, hätte Rot-Grün kein Problem.

Im Gegensatz zum Irakkrieg zweifeln Polityuppies am politischen Gehalt der Agenda 2010. Ist sie tatsächlich ein überparteilicher Kampf gegen den Sozialstaat? Oder doch ein notwendiger Reparaturbetrieb, der wie jede Werkstatt auch Fehler macht? Dass Fehler gemacht werden, scheint den Aufgeklärten logisch. Sie glauben nicht daran, dass Politik gesetzmäßig funktioniert. Das erleben sie anders. Eine Bewegung, welche die immer größere Schar der kritischen Ungebundenen erreichen will, kämpft mit einem Paradoxon: Die potenziellen Protestler wollen an eine Lösung der anstehenden Probleme glauben. Das tun sie aber nicht.