Stuttgart lässt den Schleier fallen

Nach dem Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichtes hat Baden-Württemberg als erstes Bundesland ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen an allen staatlichen Schulen verabschiedet

BERLIN taz ■ Als erstes Bundesland verbietet Baden-Württemberg das Kopftuch für Lehrerinnen. Gestern stimmten fast alle Abgeordnete der CDU, FDP und SPD für ein derart geändertes Schulgesetz. Eine Muslimin muss künftig ihr Haar enthüllen, Kreuz, Kippa oder Ordenstracht sind aber weiterhin erlaubt. Kultusministerin Annette Schavan (CDU) nannte das einen „tragfähigen Kompromiss über Fraktionsgrenzen“ hinweg.

Das Gesetz kam nicht überraschend, hatten doch zuletzt nur noch die Grünen Toleranz gefordert. Sie entwarfen ein eigenes Gesetz, das es den Schulen ermöglicht hätte, den Einzelfall zu prüfen. Für diese Idee aber stimmte im Landtag nicht einmal die SPD.

„Enttäuschend“ findet Winfried Kretschmann, Vorsitzender der grünen Landtagsfraktion, die Haltung der Genossen. „Selbst zu Zeiten des Berufsverbots hatten die Leute die Chance, sich vor einer Kommission zu verteidigen. In dem neuen Gesetz aber wird ein Pauschalverbot ausgesprochen.“

Unklar ist nun, ob das neue Schulgesetz mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts übereinstimmt. Marieluise Beck (Grüne), Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, bezweifelt das: „Die Richter in Karlsruhe haben im September die Gleichbehandlung aller Religionen vorgeschrieben. Jetzt aber hat der Stuttgarter Landtag ein Gesetz beschlossen, das nur für muslimische Symbole gilt.“

Die Koalition der Kopftuchgegner hingegen bewertet das neue Gesetz als rechtens. Sie berufen sich auf die Landesverfassung, die vorschreibt, dass Schüler „auf der Grundlage christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte“ erzogen werden sollen. Das neue Schulgesetz haben sie in seinen Formulierungen auf diesen Passus abgestimmt. Falls die Karlsruher Richter es dennoch ablehnen, „dann hieße das, dass unsere Landesverfassung dem Grundgesetz widerspricht“, sagt Rainer Graf, Vize-Fraktionsgeschäftsführer der Landtags-FDP.

Eine Frau zumindest dürfte das neue Gesetz in Gewissensnöte treiben: Eine muslimische Lehrerin aus Urbach ist seit Mitte März in Zwangsurlaub. Das Ministerium hat sie bis zur Verabschiedung des Gesetzes vom Dienst suspendiert. Künftig muss sie barhäuptig unterrichten – oder sie hat Berufsverbot.

COSIMA SCHMITT

meinung und diskussion SEITE 11