Das sach ich dir

Hier geht es fettig zu. Olli Dittrichs Imbiss-Soap „Dittsche – Das wirklich wahre Leben“ ignoriert souverän die Genreregeln. Im Bademantel wird hier die Welt zusammengezimmert. Eine Hommage

VON FRANK SCHULZ

Mein Stammimbiss, der Hähnchen- und Haxengrill in Hamburgs Eppendorfer Weg, liegt drei Stockwerke unter meinem Arbeitszimmer. Mitunter stinkt er zum Fenster herein, und dann krieg ich Appetit und lauf in Pantoffeln runter.

Samstags ist geschlossen – doch vor fünf Wochen war das Schaufenster plötzlich erleuchtet. Und wer gestikulierte dahinter? Dittsche.

Der Mann mit dem Bademantel ist eine jener TV-Figuren, die von dem Musiker, Komödianten und Schauspieler Olli Dittrich (47) „Besitz ergreifen“, wie die FAS so treffend formulierte. Schon in dessen ZDF-Sendereihe „Olli, Tiere, Sensationen“ hatte Dittsche Kurzauftritte, und schon damals lauste mich der Affe, weil ich als Kulisse meinen Stammimbiss identifizierte.

Nun wirkt Dittsche dort wieder, ausführlicher denn je: Die gewöhnlich samstags gedrehten Folgen werden sonntags ab 22.30 Uhr im WDR-Fernsehen gesendet. Titel: „Das wirklich wahre Leben“. Für mich jeweils ein Ereignis, wiewohl ich im wirklich wahren Leben nicht gern Geisel eines harmlosen, aber offensiv faselnden Soziopathen bin. Vorm Fernseh ja.

Die Szenerie: Mit dem Rücken zum Geschehen sitzt an einem der Bistrotische „Schildkröte“ (Mr. Piggi), raucht und trinkt Bier. Tagsüber steht er „im Baumarkt an der Säge“. Hinter der mir so wohl bekannten Glasvitrine statt Herrn Anger nun Imbisswirt Ingo (Jon Flemming Olsen). „Ach“, grunzt er weitsichtig unter seiner Vokuhila-Frisur hervor, „Chefvisite.“

Und richtig: Das Türglöckchen bimmelt, Dittsche, arbeitslos, tritt im Bademantel ein, wünscht Mahlzeit, begrüßt Ingo per Handschlag, tauscht Leergut gegen Vollbier, und eine Flasche wird sofort geköpft. Sie ist das Zepter, das ihm für die nächste halbe Stunde Diskussionshoheit sichert. „Sach ma – Ingo? Has du das auch mitgekricht, mit Heino? Weiß doch, unser Sänger. Unser großer Deutscher. Heino. Er darf nich Ehrenbürger werden von seine Stadt.“ Ein Skandal, doch Dittsche referiert ihn in einem Ton, der Genugtuung verrät: wieder mal Banausentum entlarvt.

So oder ähnlich fängt der „unterhaltsame Wochenrückblick“ (WDR) immer an. Im weiteren verfolgt Ingo mit verschränkten Armen, Schlafaugen und schmerzlichem Lächeln, also fast platzend vor Süffisanz, wie Dittsche sich mit Händen und Füßen um Kopf und Kragen redet: „Mit Deutschland geht das den Bach runter! Das sach ich dir.“ Denn: „Bayern München is nich mehr inne Schämpjenslieg drinne. VfB Stuttgart is nicht mehr inne Schämpjenslieg drinne. Der Bachelor is in’ Bett ne Niete.“

Hörens- und sehenswert allein, wie Dittsche aus der Bild-Zeitungs-Lektüre seine eigene Meinung zimmert – etwa die, Olli Kahn leide an Vogelgrippe. Spätestens seit den grandiosen „Blind Dates“ mit Anke Engelke muss man ja sowieso sagen: In der Improvisationskunst der anverwandelnden Charge braucht sich Dittrich auf visueller Ebene wahrlich nicht hinter dem zu verstecken, was etwa ein Heino Jaeger auf rein akustischer geleistet hat.

Doch darf hierüber eine Besonderheit des Dittsche-Formats nicht vergessen werden: Die Bildregie geschieht automatisch. Alle viereinhalb Sekunden wechselt die Perspektive zu einer anderen der fünf Kameras.

Ein genialischer Einfall. Dadurch gibt es keinen Hauptdarsteller, sondern eine Hauptdarstellung: die Situation. Sobald Schildkröte, der große Schweiger, turnusmäßig in den Vordergrund rückt, wird die Abstrusität des Ramenterns im Hintergrund überdeutlich, die Tristesse grell und schrill. Folgt die Struktur von Jaegers Kabinettstücken oft archetypischen Dialogen zwischen Ohnmacht und Macht, so Dittrichs denen zwischen Ohnmacht und Ohnmacht. Obwohl er immer so ironisch tut, weiß Ingo nämlich auch nicht besser als Dittsche, wie der Treibhauseffekt funktioniert, und Schildkröte ist längst einer.

Genregesetze, in diesem Fall der Soap, werden nur punktuell befolgt: Stets versucht Ingo, Dittsche des Missbrauchs der Meinungsfreiheit zu überführen. Stets drängt Dittsche Schildkröte zum Schluss zu einem Rollenspiel, und stets blockt der ihn bass ab: „Lass mich in Ruhe, ich hab Feierahmd!“ Und während der Abspann läuft, hört man aus dem Off, wie Ingo Dittsche schilt, nur mehr gedämpft (respektlos sowieso nie), und Dittsche selbst zollt dem Erholungsbedürfnis der arbeitenden Bevölkerung Respekt, indem er einen Deut kleinlauter wird. In Dittrichs Imbissproletariat mag es fettig zugehen, aber allemal menschlich.

Sonntagabend wieder – dann sogar, erstmals, live! Leider mitnichten vor Publikumsverkehr – sonst säße ich neben Schildkröte. In Pantoffeln. Das sach ich dir.

Frank Schulz ist Schriftsteller, lebt und arbeitet in Hamburg. Zuletzt erschien im Verlag Eichborn Berlin sein Roman „Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien“