Front der Abtrünnigen

Wer war Jules Valles? Der Politaktivist Thomas Ebermann und die Spaßpunker Schorsch Kamerun und Rocko Schamoni klären auf: eine Hommage an den Aktivisten der Pariser Kommune

von Dirk Seifert

Schon einmal standen der Hamburger Politaktivist Thomas Ebermann und die beiden Vorzeigepunks Rocko Schamoni und George Kamerun gemeinsam auf der Bühne. Das war vor vier Jahren, und Kamerun inszenierte mit Schamoni und Ebermann im Deutschen Schauspielhaus Hubert Fichtes Die Palette. Das ist die Geschichte einer Hamburger Kellerkneipe in den 60er Jahren, angefüllt mit Gammlern, Gaunern, Huren, Strichjungen, entlassenen Häftlingen und anderen schrägen Vögeln am Rande der bürgerlichen Gesellschaft, die mit den Normen und Zwängen nicht klar kommen und das auch nicht wollen.

Ein Herz für Außenseiter hatte auch der Mann, mit dem sich das Dreigestirn Ebermann-Schamoni-Kamerun heute Abend im Polittbüro beschäftigt: Jules Valles (1832-1885) war Literat, Lehrer, Revolutionär, zum Tode verurteilter und doch noch begnadigter Journalist. Sein wichtigstes literarisches Werk ist die dreiteilige, unter dem Namen Jacques Vingtras veröffentlichte Autobiographie. Im Zentrum stehen seine Beobachtungen über „Les Réfractaires“, am besten wohl mit „die Abtrünnigen“ oder „die Abwegigen“ zu übersetzen. Valles beschreibt – mitten in der ersten industriellen Revolution, die Arbeiterbewegung ist in der Entstehung und die sozialen Verhältnisse in Europa geraten vollkommen aus den Fugen – diese Abtrünnigen: Jene, die sich auf den „Misthaufen der Städte“ herumtreiben, die „mit den Füßen nicht im Leben“ stehen, die „alles angefangen haben und nichts geworden sind“, die dem Gesetz nicht gehorchen wollen oder können.

Literaturkritikern gilt er als einer, der ohne Beschönigungen oder gar romantisierenden Habitus die Verhältnisse im Paris des 19. Jahrhunderts beschreibt. Doch dabei belässt er es nicht. Kurz vor der Revolution im März 1871 gründet Valles mit Le Cri du Peuple („Der Volksruf“) eine der wichtigsten Zeitungen der Kommunarden. Er wird in den Rat der Kommune gewählt und kämpft bewaffnet auf den Barrikaden von Paris. Das Ende der Kommune erlebt Valles auf der Flucht. In Abwesenheit wird er zum Tode verurteilt. Erst 1880, nach der Amnestie, kehrt er nach Paris zurück.

Dass die Gescheiterten, Gestrauchelten, Abtrünnigen auch auf Thomas Ebermann eine magische Anziehungskraft ausüben, ist nicht verwunderlich. Einerseits, weil er Zeit seines Lebens politisch für sie gekämpft hat. Andererseits, weil er irgendwie auch zu ihnen gehört: Ende der 70er Jahre das Scheitern der revolutionären Hoffnungen als Mitglied des Kommunistischen Bundes. Ende der 80er Jahre die Erkenntnis, dass aus den Grünen, für die er in der Hamburger Bürgerschaft und im Bundestag saß, keine links-sozialistische Partei werden würde. Gescheitert, Parteiaustritt. Doch anders als viele der damaligen MitstreiterInnen, die einfach die Fronten wechselten und heute die Regierungsbänke besetzen, bleibt Ebermann seinen Idealen treu und kämpft weiter.

Dass sich so einer mit Jules Valles befasst, ist nachvollziehbar – authentisch, wenn man so will. Von der politischen Bühne hat er seinen Kampf in die Kultur verlegt, wo sich Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun bereits seit den 80er Jahren tummeln. Beide schlugen als abtrünnige Dorf-Punks (so auch der Titel des im Herbst erscheinenden neuen Buches von Schamoni) von der Ostsee kommend in der Hamburger Szene auf und eckten an. Es ging nicht nur „gegen den Staat“, wie einer der wohl bekanntesten Schamoni-Hits heißt. Mit dem Spaß-Punk der Goldenen Zitronen mischt Kamerun die Konformität der Punk-Szene auf, verweigert sich kommerziellen Angeboten zwischen dem Teeniemagazin Bravo und fetten Plattenverträgen.

Keine Frage: Ebermann, Kamerun und Schamoni kennen sich aus mit den Abtrünnigen und den Gescheiterten. Und so darf man auf die Lesung über einen Kampfgefährten und irgendwie auch Geistesverwandten heute im Politbüro gespannt sein.

Heute, 20 Uhr, Polittbüro