Pille vergiftet Wasser

Fische verweiblichen, Schnecken und Muscheln werden unfruchtbar. Professor warnt vor Abwasserbelastungen

BERLIN taz ■ Viel wird am heutigen „Tag der Biodiversität“ über Afrika, Urwaldabholzung oder Patente auf Lebewesen geredet. Das muss nicht sein. Man kann auch über die Pille reden. Oder über Geschlechtsumwandlung.

„Seit einigen Jahren beobachten wir, dass junge männliche Fische verweiblichen“, sagt Professor Christian Steinberg vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie. Ursache dafür sei die Antibabypille: Ihre Abbauprodukte gelangen seit Jahren über die Kanalisation in die Gewässer, biologisch hochaktive Stoffe, die in entsprechender Dosis Fische, Schnecken und Muscheln bis zur Unfruchtbarkeit vergiften. Die Abbauprodukte greifen in das endokrine System ein – beeinflussen also die sehr komplexe hormonelle Regulation im Körper. Steinberg: „In Berliner Gewässern treffen wir etwa Froschlarven an, die nicht erwachsen werden können.“ Zwar wachsen die Larven heran, aber sie bleiben immer Kaulquappen – so lange, bis die eigentlich für den „Babykörper“ gedachten Organe den Organismus nicht mehr unterhalten können.

Zwei industrielle Massenprodukte zählen zu den aggressivsten Umwelthormonen: der synthetisch erzeugte Waschmittelzusatz Nonylphenol. 10 Mikrogramm pro Liter genügen, um den Hormonhaushalt eines männlichen Fisches durcheinander zu bringen. Noch gefährlicher ist das synthetische Östrogen Ethinyl-Estradiol, berühmt als Antibabypille: Schon 0,3 Nanogramm je Liter verändern den Fischorganismus. In deutschen Klärwerksabläufen wurde mit bis zu 0,23 Mikrogramm eine nahezu 1.000fach höhere Konzentration nachgewiesen. Langzeitexperimente in Karpfenteichen, die zur Verrieselung geklärten Abwassers dienen, ergaben 63 Prozent weibliche, 25 Prozent männliche Tiere und 12 Prozent Zwitter. Für das umgekippte Geschlechterverhältnis machen Wissenschaftler der TU Berlin die Pille verantwortlich.

„Der chemische Nachweis einzelner Stoffe ist vergleichsweise leicht, aber was sie anrichten, das wissen wir nicht“, sagt Steinberg. Der Professor fordert neue Gesetze. „Das Umweltrecht hinkt der Entwicklung hinterher.“ Experten sind sich einig, dass die Probleme nicht auf die Fauna beschränkt bleiben. Über das Trinkwasser kämen die Abbauprodukte der Pille auch in den menschlichen Organismus – zunehmende Unfruchtbarkeit scheint nicht ausgeschlossen. Forscher Steinberg jedenfalls hat eine persönliche Konsequenz gezogen: „Ich bin seit acht Jahren in Berlin – und ich habe freiwillig noch in keinem Berliner Gewässer gebadet.“ NICK REIMER

Der Internationale Tag der Biodiversität wird seit Jahren von der Weltnaturschutzorganisation IUCN ausgerufen, um auf die Bedrohung der biologischen Vielfalt aufmerksam zu machen