Im Umgang mit der Israel-Palästina-Frage erkennen LeserInnen vor allem eins:
: Doppelmoral

betr.: „Nehmt die Köpfe aus dem Sand“, taz vom 22. 3. 04

Eldad Beck erklärt bezüglich der israelischen Kriegsdienstverweigerer: „Israel ist eine sehr lebendige Demokratie, in der jeder seine Meinung über alles äußern kann […]. Die kleinsten politischen Minderheiten – wie die Gruppe der verweigernden Piloten – haben Zugang zu allen Medien, in denen sie – unproportional zu ihrem zahlenmäßigen Gewicht in der Gesellschaft – große Schlagzeilen bekommen.“

Ist ja super, wenn man als Verweigerer alle Zeitungen und unter Umständen darin auch etwas über sich selbst lesen darf. Nur ein bisschen schade, wenn man sich währenddessen im Gefängnis befindet. Denn diese Klitzekleinigkeit erwähnt Herr Beck leider mit keinem einzigen Wort: dass viele junge Männer und Frauen aufgrund ihrer Verweigerung in israelischen Militärgefängnissen festgehalten werden und ihre Haftstrafen absitzen, was seine Argumentation doch etwas zynisch und realitätsverdrehend erscheinen lässt.

TAREK KHOURY, 28, Ex-Zivi aus Köln

Ich frage mich oft, wie es kommt, dass in der öffentlichen Meinung in Deutschland die Palästinenser nur als Opfer gesehen werden, während für Israel nur die Täterrolle übrig bleibt. Zum einen ist es sicher die Sehnsucht danach, in einem Konflikt zwischen „Gut und Böse“ unterscheiden zu können. Die Sympathien gelten in der Regel dem Schwächeren, und das sind in diesem Fall die Palästinenser. Dabei fragt man sich leider nicht, was passieren würde, wenn die Palästinenser den Israelis militärisch überlegen wären. Es ist leider zu befürchten, dass sich die radikalen Elemente im palästinensischen Volk durchsetzen würden und wesentlich schlimmere Taten geschehen würden als jetzt durch die Scharon-Regierung.

In einem stimme ich allerdings Herrn Beck nicht zu. Die kritische Haltung vieler Deutscher gegenüber Israel hat nicht den Grund darin, dass die Deutschen die Shoah vergessen hätten, sondern im Gegenteil, dass viele Deutsche, weil sie ein schlechtes Gewissen wegen der Verbrechen ihres Volkes haben, ganz froh sind, dass der jüdische Staat im Moment, was die Einhaltung von Menschenrechten angeht, angreifbarer ist als Deutschland. MICHAEL BEER, München

Natürlich haben Deutsche einen direkten Bezug zum Nahostkonflikt, eben wegen ihrer Geschichte. Und Deutschland macht sich übrigens die ganze Zeit mitschuldig an den Menschenrechtsverletzungen, weil Deutschland inklusive seiner großartigen Presse nämlich genau weiß, warum die Menschenrechte so wichtig sind. Niemand weiß das so gut wie ein reuiger Täter, der mehr als sechs Millionen Menschen auf dem Gewissen hat.

Isolationismus ist das, was Herr Beck hier macht. Der Vernichtungs-Topos! Die Zuspitzung aller Argumentation auf das blanke und nicht definierte „Existenzrecht“. Was ist Existenz, liebe taz? Gehört die Besatzung zum Existenzrecht? Und was erwartet dieser Herr Beck? Liebe? Oder was? Unterordnung? Meinungszurückhaltung oder -korrektur, wenn ihm nicht genehm? Ich habe keine Lust, dass meine Verwandten als Halbmenschen mit verminderten Rechten angesehen werden. Denn so müssen sie sich fühlen, wenn sie sehen, wie mit groben Stiefeln über ihre Leben gelatscht wird.

In diesen Artikeln geht es auch nicht um Information oder Meinung. Sondern darum, dass demokratisch gewählte Israelis töten dürfen, wie sie wollen, und überhaupt dürfen, was sie wollen. Palestinian is the nigger of the world. ANIS HAMADEH, Kiel

betr.: „Doppelmoral im Nahen Osten“, taz vom 19. 3. 04

Danke, Herr Sterzing, dass Sie uns in aller Deutlichkeit zeigen, wie diese Welt von Doppelmoral beherrscht wird. Es ist natürlich Doppelmoral, wenn man sich über die Besetzung empört, aber die Aggression, die aus dem besetzten Gebiet ausgegangen ist und die für die Besetzung ursächlich ist, außer Acht lässt. Es ist auch Doppelmoral, sich über die Besetzung durch Israel zu empören, aber die davor andauernde Besetzung durch Ägypten, und, im Falle Jordaniens, sogar Annexion, stillschweigend hinzunehmen. Oder Israel als Besatzer regelmäßig zu verurteilen, aber über die Besetzung Libanons durch Syrien hinwegzusehen.

Doppelmoral ist, wenn man Untaten in New York, Madrid, Bali usw. als Terror und die Täter als Terroristen bezeichnet, während man im Falle Israels lediglich von „Anschlägen“ und „militanten Organisationen“ spricht. Es ist auch Doppelmoral, verschärfte Personenkontrollen durch Israel als Kollektivstrafe zu bezeichnen, aber in den USA oder an den Grenzen von „Festung Europa“ lediglich von Sicherheitsmaßnahmen zu sprechen. Feinde und Terroristen aus der Luft zu bomben, wenn man es selbst tut, als legitime Kriegsführung zu betrachten, aber das gleiche Vorgehen Israels als „außergerichtliche Hinrichtung“ zu bezeichnen, ist ebenfalls Doppelmoral.

Schließlich ist Doppelmoral, wenn man nur die Doppelmoral anprangert, die ausnahmsweise den Palästinensern nicht nützt, und ansonsten sie als selbstverständlich hinnimmt oder sogar begrüßt.

IGOR FISCHER, Jerusalem

betr.: „Verständlich, aber unklug“, taz vom 23. 3. 04

Susanne Knaul schreibt, „Verständlich, aber unklug“ sei die Tötung von Scheich Jassin. Deshalb bleibt auch sie bei der offiziellen Sprachregelung: Tötung, gezielte Tötung. Was ist los mit einer freien Presse, in einem freien Land, in einem demokratischen Rechtsstaat, wenn ein kalt geplanter, vorsätzlicher, heimtückischer Mord lediglich als Tötung durch eine unglaublich brutale Militäraktion bezeichnet wird? Fast vergessen wird, dass weitere sieben Menschen bei dieser „Aktion“ ermordet wurden. JUTTA SCHREPFER, Bochum

„Aber er war ein politischer Führer, der die Gewalt hätte beenden können – getan hat er das Gegenteil“, das ist die Begründung von Susanne Knaul, wieso uns der Tod von Scheich Jassin nicht Leid tun muss. Von dieser Einschätzung wäre aber Israels Scharon mindestens genauso betroffen. Das Attentat zeigt einmal mehr, dass Israel keinen Interessensausgleich im Nahen Osten will, sondern ein Pulverfass. Viel Spaß damit. THOMAS KELLER, Königswinter

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.