Schreie hinter Leder

Tatort Emsland: Aus den Kriminalakten der Schutzpolizei Weser-Ems

Bankfilialleiter Merschmann war von jeher gewohnt, sich in jeder Frage rückzuversichern. So hatte er es mit seinen gestrengen Eltern gehalten und später, als er bereits im Beruf stand, stets auf schriftliche Bestätigung jedweder Anweisung beharrt.

Diesem Denken verdankte er, dass ihm nichts angelastet werden konnte, als sein Amtsvorgänger Werner Vollmer in Verruf geriet. Vollmer widmete den größten Teil seiner freien Zeit seiner Tätigkeit als Vorstand des Kaninchenzüchtervereins und hatte sich durch nicht ganz astreine Transaktionen um das Vereinswohl verdient machen wollen, indem er bar übergebene Spenden aus der örtlichen Geschäftswelt im Banktresor einlagerte und sie – pieksauber gewaschen – peu à peu wieder in Umlauf brachte. Bei einer Revision waren die nirgendwo erfassten Beträge entdeckt worden. Um einen öffentlichen Skandal zu vermeiden, hatte man Vollmer ein Schuldeingeständnis unterzeichnen lassen und ihn ohne großes Aufhebens in eine andere Filiale versetzt.

Vollmer war aus seiner emsländischen Groß- in eine Kleingemeinde abbefohlen worden, wo er im Alleingang eine Zwergniederlassung zu führen hatte, die aus einem karg eingerichteten Anbau mit zwei Schaltern und einem zwischen Klinkern eingelassenen Bankautomaten bestand. Auf dunklen Wegen gelangten Gerüchte an seine frühere Wirkungsstätte, wonach sein Institut binnen kurzem Ziel zweier Überfälle geworden war. Die Bank hatte in diesem Fall glücklicherweise keinen Schaden erlitten, denn beide Täter waren rasch gefasst worden.

Des einen Eitelkeit hatte ihn in die dunkle Glasscheibe des Geldautomaten schauen lassen, bevor er seine Skimaske aufsetzte, wobei er nicht bedachte, dass hinter der Scheibe eine Überwachungskamera lauerte, die sich bis in ihr gegen Stromausfälle gefeites Herz darüber freute, wenn sie solch minderbemittelte Tröpfe vor ihr Objektiv bekam.

Auch der zweite Räuber war um Tarnung bemüht gewesen und hatte sich für eine aus dem belgischen Versandhandel bezogene, ungleich mondänere Sado-Maso-Maske aus handgearbeitetem Karibuleder entschieden. Nur verabsäumte dieser Tropf, vor Betreten der Bankfiliale den Reißverschluss der Mundöffnung aufzuziehen. Im Weiteren trat er mit einem doppelläufigen Jagdgewehr im Anschlag vor Vollmers Schalter und grunzte zusammenhanglose Urlaute unter seiner beinahe luft-, vor allem aber schalldichten Maske hervor. Es klang, als ob jemand seinen Mund mit einer Handvoll aufgequollener Weizenkleie verkorkt und mit einem Stück Lassoband versiegelt hätte.

In Vollmers Hirn hämmerte es derweil maschinenartig: „Wer nichts macht, macht nichts falsch. Wer nichts macht, macht nichts falsch …“ Jegliche Hirntätigkeit ruhte, auch sonst rührte Vollmer keine Faser. Still und erstarrt stand er hinter seiner Panzerglasscheibe und sah aus weit aufgeklappten Augen, wie der Verbrecher sein Jagdgewehr in die Beuge des rechten Arms verlagerte und mit der linken Hand an seinem Gesichtsreißverschluss riss. Nun war der Mann allerdings Bartträger. Bei der ruckartigen Bewegung verfingen sich ein paar Härchen des struppigen Schnauzes in den Zähnen des Reißverschlusses. Das darauf folgende schrille Geheul drang sogar durch das solide vernähte Leder. Obendrein stampfte der Schurke vor Schmerz auf den Boden, die harte Erschütterung aber wurde von der Mechanik seiner Flinte sehr falsch aufgefasst. Ein Schuss löste sich und durchschlug seinen dreckverschmierten Gummistiefel, abermals Grund genug für ein ohrenbetäubendes Krakeelen.

An diesem Punkt gab der waidwunde Gesetzesbrecher auf und humpelte mit schmerzzerknautschter Sado-Maso-Maske zum Ausgang. Die Polizei fand ihn wenig später beim Veterinär des Nachbarortes, wo er sich die Schrotkugeln aus dem arg lädierten Fuß zupfen lassen wollte.

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