Trouble Fucken Rocks

Highschool-Massaker und andere Amerika-Klischees: Der Booker-Preisträger DBC Pierre las bei Dussmann aus seinem Debütroman „Jesus von Texas“

Schön, wenn Vorurteile bestätigt werden. Wer zum Beispiel meint, dass bei Dussmann die Buchkultur an ihr Ende gekommen ist, darf sich an diesem Abend zunächst bestätigt fühlen. Der Weg zur Lesung mit DBC Pierre führt durch einen Ramschparcours aus grauen Plastikwannen mit alten Autoatlanten und Kochbüchern.

Erst im Untergeschoss des Kulturkaufhauses – „Bitte nehmen Sie keine unbezahlte Ware mit auf die Toilette“ – wartet dann ein ansehnlicher Stapel mit „Jesus von Texas“, dem Debüt des Booker-Preisträgers. Der Erfolg des Romans gründet sich unter anderem auf seinen großzügigen Umgang mit amerikanischen Klischees. Es geht um Fernsehen und Fastfood, um legale Handfeuerwaffen und die verhängnisvolle Vorliebe der US-Bürger für Fernsehhysterie und Lynchjustiz. „So ist es dort wirklich“, weiß der welterfahrene Aufbau-Chef Bernd F. Lunkewitz, und leider versteht DBC Pierre zu wenig Deutsch, um die landeskundlichen Anmerkungen seines Verlegers höflich zu übergehen. „Ich habe das alles aus dem Fernsehen“, erklärt der Schriftsteller, der in Australien geboren wurde, in Texas aufgewachsen ist und heute in Irland lebt. „Ich fand es interessant, eine Romanhandlung aus Stereotypen und Mediensplittern zu konstruieren.“ So viel zu den Vorurteilen. Und so viel zu Amerika.

„Jesus von Texas“ erzählt die Geschichte des 15-jährigen Vernon Gregory Little, der zu Unrecht unter dem Verdacht steht, an einem Highschool-Massaker beteiligt gewesen zu sein. Ein aus der Spur gelaufener CNN-Reporter will ihn vor laufender Kamera „ans Kreuz nageln“, und Vernon handelt sich mit jedem Versuch, seinem Schicksal zu entkommen, weiteren Ärger ein.

„Trouble fucken rocks“, lautet einer der prägnantesten Sätze in diesem bitteren und zugleich komischen Roman – und DBC Pierre entschuldigt sich während der Lesung bei seinem Übersetzer Karsten Kredel charmant für die anstrengende Aufgabe, die Sprache eines unterprivilegierten, amerikanischen Teenagers ins Deutsche zu übertragen: „Das nächste Buch schreibe ich auf Englisch.“ (Und, yes, dieses Buch ist angeblich schon fast fertig.)

DBC Pierre, der eigentlich Peter Warren Finlay heißt und 42 Jahre alt ist, entspricht kaum dem Bild eines Autoren, dessen Debüt mit einem der renommiertesten Literaturpreise ausgezeichnet worden ist. „Ich sollte vermutlich ein komplettes Arschloch sein“, erklärt der Schriftsteller mit einem freundlichen Lächeln und belässt es bei einer kurzen Anspielung auf seine kleinkriminelle Vergangenheit, die der Vergabe des Booker-Preises im vergangenen Herbst einen Hauch von Skandal verliehen hat. DBC Pierre – das Pseudonym steht für „Dirty But Clean Peter“ – hat nämlich nach eigenen Angaben die letzten zwanzig Jahre seines Lebens damit verbracht, Kokain zu konsumieren und mit betrügerischer Absicht gewaltige Schulden zu machen. „Unsuccessful“, beschreibt er diese Zeit jetzt mit sympathischem Understatement, und räumt auch gleich mit dem Gerücht auf, dass „Jesus von Texas“ so etwas wie eine Büßerarbeit gewesen sein könnte: „Es war einfach so, dass ich nicht die geringste Chance hatte, einen Job zu finden. Einen Roman zu schreiben, erschien mir als die letzte Möglichkeit, überhaupt irgendwie Geld zu verdienen.“

Die Rechnung ist aufgegangen. Jetzt kann man nur hoffen, dass das Beispiel Schule macht: Angesichts von 4,6 Millionen Arbeitslosen allein in diesem Land dürfte uns dann eine gewaltige Welle glänzender Debüts überrollen. Passenderweise verteilt nach der Lesung eine ältere Frau vor dem Eingang von Dussmann kleine Werbezettel mit einer Telefonnummer und der Frage „Gesundheitsreform und pleite – muss das sein?“. KOLJA MENSING