Das Karlsruher Müllwunder ist am Ende

EnBW wollte mit Thermoselect aus Abfällen Energie gewinnen – und ist gescheitert. Das freut nicht nur die Grünen

KARLSRUHE taz ■ Rot geschminkt liegt die Leiche am Kai, so chic und imposant, wie sie im Leben ihren glühenden Verehrern den Kopf verdreht hat. Utz Claasen gehört nicht dazu, er verkündete vor kurzem als neuer Chef der Energie Baden-Württemberg (EnBW) das Ableben der feurigen Lady im Karlsruher Hafen. Freude dagegen im Hinterzimmer einer Pizzeria neben dem Karlsruher Rathaus. „Aus! Aus! Aus! Endlich Schluss mit Thermoselect“, so dort die Grünen. Sie freuen sich mit der Bürgerinitiative (BI), dass „Thermodefekt“ aus Rentabilitätsgründen stillgelegt wird.

Der von Pech und Pannen verfolgte Müllofen hat nie, wie angekündigt, unsortierten Restmüll emissionsfrei in Energie und ein wiederverwendbares Granulat verwandelt. Neben Grünen-Stadtrat Harry Block und dem Vorsitzenden der Bürgerinitiative sitzt in einem alten handgestrickten Pullover ein bescheiden wirkender Mittvierziger. „Ingo Gödeke, unser Außenminister“, wird er respektvoll vorgestellt. „Kommissar“ würde den Nagel auf den Kopf treffen.

Tatsächlich hat Gödeke in der Auseinandersetzung um das 450 Millionen teure Großprojekt eine erstaunliche Karriere hingelegt. Sogar nach Japan wurde er eingeladen, um Vorträge über die Müllverbrennung zu halten. Und Gerhard Goll, langjähriger EnBW-Vorstandsvorsitzender und nach eigener Aussage „engstirniger“ Thermoselect-Verfechter, zeigte sich vom Sachverstand seines Gegenspielers beeindruckt, als der für die Kritischen Aktionäre druckreif Störfälle und giftige Emissionen des Müllofens analysierte.

Seit Jahren erscheint die Internetseite des 46-Jährigen (www.goedeka.de) bei der Suchanfrage „Thermoselect“ unter den ersten zehn Einträgen. Techniker und Energieberater, Professoren, Ingenieure, Verwaltungen und Bürgerinitiativen aus Libanon, Korea und Polen, von den Jungferninseln, aus Puerto Rico, Florida, von den Philippinen und aus den deutschen Städten Ansbach, Hanau und Herten haben ihn um Informationen gebeten. Mit dem Ergebnis, dass die dortigen Akquisitionsbemühungen meist schnell beendet waren.

Dabei entdeckte er ein Geflecht von Beziehungen, das Karlsruhe noch den Titel einer deutschen Skandalhauptstadt einbringen könnte, wenn es zur europäischen Kulturhauptstadt 2010 nicht reicht. Die Flowtex-Tochter FlowWaste, die dem inzwischen inhaftierten Rekordbetrüger Manfred Schmider gehörte, besitzt zum Beispiel eine Lizenz für Thermoselect: Die Geschäftsführerin Bettina Morlock ist nicht nur Nichte des früheren FDP-Politikers Jürgen Morlock, sondern auch frühere Thermoselect-Mitarbeiterin des EnBW-Vorgängers Badenwerk.

Der Karlsruher Bürgermeister Eidenmüller, ebenfalls FDP, macht Werbung für deren Projekte und erhält Wahlkampfunterstützung von Schmider. „Spitze“ sagt der BI-Sprecher und lobt, dass „jemand alles durchdenkt und alles weiß.“ Inzwischen ist Gödeke als Sachverständiger in mehreren Anhörungen und Gerichtsverfahren zu Verbrennungsanlagen ehrenamtlich aufgetreten. Jetzt träumt er von einer Ein-Mann-Umweltberatung – obwohl er seit 20 Jahren wegen einer seelischen Erkrankung als nicht erwerbsfähig gilt.

Wird ihm nach dem Aus für Thermoselect also etwas fehlen? „Nein“, versichert er lächelnd, er müsse diese Woche bereits nach Recklinghausen, um bei einer Anhörung zu einer Altholzvergasungsanlage dabei zu sein. Angeblich wolle die den Rohstoff zur hoch geförderten Wasserstoffherstellung für Brennstoffzellen liefern. Ingo Gödeke vermutet Subventionsbetrug, nachdem er die „liederlichen“ Antragsunterlagen durchgesehen hat. Herr Gödeke, übernehmen Sie! BERNHARD BALDAS