Regisseur Walburg über "Staatsfeind Kohlhaas": "Es kann auch dich treffen"

Heinrich von Kleist erzählt in "Michael Kohlhaas" von einem Bürger, der sich plötzlich mit dem Staat anlegt. Zum Spielzeitauftakt inszeniert Lars-Ole Walburg in Hannover die Bearbeitung "Staatsfeind Kohlhaas".

"Staatsfeind Kohlhaas" in Hannover: Den Staatsfeind spielt Rainer Frank. Bild: Katrin Ribbe

taz: Herr Walburg, was hat Sie gereizt, den "Staatsfeind Kohlhaas" ins Programm zu heben und selbst - programmatisch zum Beginn der Spielzeit - zu inszenieren?

Lars-Ole Walburg: Wir haben überlegt, was wir zum 200. Todestag von Kleist machen können und ein Paket mit mehreren Produktionen geschnürt, die mit ihm zu tun haben. Mich hat die "Kohlhaas"-Novelle schon lange interessiert, und dann habe ich das Stück eines ungarischen Autors auf den Tisch gekriegt, der die Geschichte aus einer sehr ungewöhnlichen Perspektive erzählt, nämlich aus der Sicht der geschundenen Pferde. Das hat mich gereizt, weil es einen humorvollen Zugang zu der doch sehr bitteren Geschichte ermöglicht. Und zum anderen interessiert der Kohlhaas heute natürlich als Wutbürger.

Sie haben die Bühnenfassung von István Tasnádi gewählt - er hat einen Namen als vielversprechende Stimme des ungarischen Gegenwartsdramas. Wo liegen Tasnádis Stärken?

46, kommt aus Rostock, arbeitete als Dramaturg und Regisseur an verschiedenen Häusern und ist seit 2009 Intendant am Schauspiel Hannover.

Die Stärke ist eindeutig, dass er den wirklich sehr komplexen Kleist-Text auf eine Ebene herunterbricht, die die Geschichte erdet und sie so für die Bühne verständlich macht. Und dann habe ich das Gefühl, dass der Autor großen Humor besitzt, auch wenn ich ihn nicht persönlich kenne. Sein skurriler Blick auf die Geschichte vermeidet eine vordergründige Moralität und ermöglicht Unterhaltung.

Die Geschichte wird aus der Perspektive von Pferden erzählt. Ist das nicht abwegig?

Eigentlich gar nicht, weil so die Aufmerksamkeit einmal auf die Kollateralschäden gelenkt wird, die sonst zumeist unter den Tisch fallen. Bei "Kohlhaas" ist es im doppelten Sinne nicht abwegig, weil dieser Gerechtigkeitsfanatiker, der für die beiden Pferde bis zum Terror streitet, diese Pferde als eigentliche Ursache der ganzen Angelegenheit bald aus den Augen verliert. Damit wird der Spagat deutlich: Geht es jetzt wirklich um die Pferde oder vielmehr ums Prinzip? Als Zuschauer kommt man durch diesen geschärften Blick auf die Pferde vielleicht stärker ins Abwägen: Ist es das wert? Muss oder darf man diesen Weg so weit gehen, wie Kohlhaas ihn geht?

Kohlhaas wird bei uns oft ein Rechthaber bezeichnet, der sich nicht zufriedengibt. Wie deuten Sie Kohlhaas?

Es ist durchaus kein ungebrochen sympathischer Charakter. Die Prinzipienreiterei und das sture Beharren auf bestimmten Grundsätzen sind mir persönlich nicht unbekannt, aber dennoch nicht angenehm. Als dramatische Figur sehe ich in ihm aber noch etwas anderes: Die Tatsache, dass ein 30 Jahre lang unbescholten lebender Bürger auf einmal in Konflikt mit der Staatsmacht und dem Gesetz gerät und wegen der ungerechten Behandlung so völlig aus dem Ruder läuft, löst Irritation aus - und das Nachdenken, wie kurz der Weg aus der bürgerlichen Normalität sein kann. Es kann auch dich treffen, selbst wenn du jahrelang geglaubt hast, konform mit Staat und Recht zu leben. Ich musste auch an den alten Mann denken, dem vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof durch Wasserwerfer die Augen ausgeschossen wurden.

Sie sind für Ihre politischen Inszenierungen bekannt - was bedeutet für Sie "Staatsfeind" in Zusammenhang mit Kohlhaas?

"Staatsfeind Kohlhaas" ist als Titel erstmal kräftiger. Und dann steckt für mich auch eine Fragestellung drin: Ist jemand, der sich gegen die Ungerechtigkeit staatlicher Willkür wehrt, tatsächlich ein Staatsfeind? Das ist eine Frage, die sich vielleicht innerhalb des Abends auftun wird und wo dann jeder Zuschauer selbst entscheiden muss, wie er das sieht.

Wen machen Sie verantwortlich für den Aufstand von Kohlhaas und seinen Männern?

Es ist eindeutig die Korruption der staatlichen Stellen, die ihn in den Amok treiben. Es ist die Ohnmacht desjenigen, der sich mit legalen rechtlichen Mitteln nicht mehr zu wehren weiß. Es gibt einen sehr interessanten Satz im Stück. Da diskutiert Kohlhaas mit Martin Luther und sagt: "Verstoßen nenne ich den, dem der Schutz der Gesetze verwehrt ist. Der ist ein Wilder und muss die Keule, die ihn schützt, selbst in die Hand nehmen."

Am Ende von Kleists Novelle gibt es noch eine Warnung an einen der Fürsten, der das Recht gebeugt hat. Hat Heinrich von Kleist seine Standesgenossen warnen wollen?

Klar steckt da eine Warnung drin. Letztlich tradiert Kleist einen Stoff aus dem 16. Jahrhundert über sein eigenes Denken auch in seine Zeit. Die Niederlage von 1806 gegen Napoleon hatte ja einen grundlegenden Einfluss auf das preußische Nationalgefühl. Die Entrüstung über die schwache, sich nicht bestimmt gebende Monarchie, die ungewisse politische Zukunft Preußens belasteten auch Kleist und seine späten Schriften. Und "Michael Kohlhaas" entstand in dieser Zeit und schließt mit einem Verweis auf die Endlichkeit der sächsischen Monarchie. Das ist natürlich eine Drohung.

Was wollen Sie als Regisseur besonders herauspräparieren?

Mich interessiert der Weg von Kohlhaas. Was bringt diesen braven Bürger dazu, sich so zu verhalten? Es geht um die Wut, die durch Ungerechtigkeit ausgelöst wird und ihre Folgen.

Wir sind im Kleistjahr. Wie fügt sich "Staatsfeind Kohlhaas" in Ihren Spielplan für diese Saison ein?

Es ist die erste von drei Produktionen, die wir dem Dichter widmen. Nach "Staatsfeind Kohlhaas" setzt sich Kornél Mundruczó in "Die Verlobung in Santo Domingo oder My Sweet Haiti" mit einer anderen Novelle von Heinrich von Kleist auseinander. Als Drittes folgt direkt zum 200. Todestag im November ein Live-Hörspiel mit dem Titel "Heinrich von Kleist oder die gebrechliche Einrichtung der Welt", das wir in Zusammenarbeit mit NDR Kultur auf die Bühne bringen.

Was denken Sie über Heinrich von Kleist? Welchen Rang räumen Sie ihm ein und welches seiner Dramen halten Sie für sein bestes?

Da geht es mir ähnlich wie mit Michael Kohlhaas. Heinrich von Kleist ist mir, wenn ich seine Lebensgeschichte betrachte, nicht unbedingt sympathisch. Aber als Dichter finde ich ihn unglaublich, angefangen bei seiner Produktivität bis hin zur Radikalität, mit der er sich seinen Platz in der Welt im wahrsten Sinne erschrieben hat. Beim Lesen seiner Biografie fällt die Rastlosigkeit, das permanente Reisen auf. Und die gleichzeitige ständige Geldnot. Insofern empfinde ich sein Leben tatsächlich als ein Künstlerdasein mit dem Mut zur Selbstfindung. Und daraus resultiert dann eine Sprache, die vielen Zeitgenossen unglaublich vorkam, aber bis heute ihre Faszination nicht verloren hat. An Dramen-Rankings beteilige ich mich grundsätzlich nicht.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich von Ihrer Inszenierung?

Eine Mischung aus Lachen und Betroffenheit.

"Staatsfeind Kohlhaas": Deutschsprachige Erstaufführung: 15. 9. 11, 19.30 Uhr, Hannover, Schauspielhaus. Uraufführung "Die Verlobung in Santo Domingo oder MY SWEET HAITI": 16. 9. 11, 20 Uhr, Cumberlandsche Bühne
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