Blicke in den Berliner Untergrund

Ab April bietet der Verein „Berliner Unterwelten“ eine neue Tour an: diesmal durch den Flakbunker Humboldthain. Der ist innen noch schön gruselig, mit Sprengschutt, halben Treppen und Gehgittern über 20 Meter tiefen Schächten. In diesem Jahr werden wieder 25.000 Besucher erwartet

„Made in Germany“: Der zum Prädikat für deutsche Wertarbeit gewordene Hinweis fand sich 1948 in Anspielung auf die vergebliche Sprengung des Berliner Flakbunkers Humboldthain auf dessen Außenwänden. Jugendliche hatten den Spruch auf die beiden stehen gebliebenen Nordtürme gepinselt.

1942 hatten Zwangsarbeiter in nur sieben Monaten den nördlich der Stadtmitte gelegenen Bunker mit seinen 2,70 Meter dicken Mauern errichtet. 42 Meter hoch, ausgelegt für 15.000 Luftschutz Suchende. Den französischen Besatzern wurden nach dem dritten erfolglosen Sprengversuch die Kosten für das Dynamit schlichtweg zu hoch. Der Bunker blieb stehen, ebenso wie sein – allen St.-Pauli-Fans bekanntes – Pendant auf dem Hamburger Heiliggeistfeld.

Immer wieder wagten sich in den Jahrzehnten, die folgten, Abenteurer in die verschlossene und unzugängliche Anlage. Dabei kam es in dem mehrstöckigen Betonklotz zu Todesfällen und schweren Verletzungen. Ab April nun sollen Neugierige ihren Höhlentrieb hier gefahrloser ausleben können. Denn der Verein „Berliner Unterwelten“ hat in 6.500 Arbeitsstunden 750 Kubikmeter Trümmerschutt aus dem Innern geschaufelt und den oberen Teil des Bunkers begehbar gemacht.

Bunkerfans kommen auf ihre Kosten: Gespenstisch wirken die abgerissenen Treppenläufe. Meterhohe Schutthalden, die einst die Innenverkleidung bildeten und bei der Sprengung wie ein Kartenhaus zusammenstürzten, sowie 20 Meter hohe zylinderförmige Schächte, die nach der Teilrestaurierung auf Metallgittern überquert werden können – nichts für Schwindelgefährdete.

In den nächsten Jahren wollen die ehrenamtlich aktiven Ausgraber sich sukzessive in die unteren Etagen vorarbeiten. Doch damit nicht genug: Ein weiterer Bunker, an der U-Bahn-Haltestelle Pankstraße, ebenfalls im Wedding, soll in nächster Zeit ebenfalls der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Dem Vereinsvorsitzenden Dietmar Arnold mangelt es nicht an kühnen Plänen. Seit Jahren reißt er mit seiner ungewöhnlichen Begeisterung für Unzugängliches Berliner und Besucher mit. Sein 1997 erschienenes Standardwerk „Dunkle Welten“ über den Berliner Untergrund wird inzwischen in der sechsten Auflage veröffentlicht.

Mittlerweile gibt es nach diesem Vorbild auch Bücher über den Untergrund von New York, Wien und Paris. In diesem Jahr werden voraussichtlich wieder rund 25.000 Besucher an den Führungen des Vereins teilnehmen. Dessen Jahresumsatz ist seit der Gründung 1997 auf sechsstellige Beträge geklettert, sodass unter anderem zwei Teilzeitkräfte beschäftigt werden können. Auch an öffentlicher Aufmerksamkeit durch die Medien mangelt es nicht.

Allerdings fiel die Kritik bisweilen durchwachsen aus. Insbesondere im Berliner Senat beäugte so mancher das Treiben mit Skepsis. Die „Bunkerküsser“ wurden vor allem im Zuge der staatlichen Ausgrabungen diverser Nazi-Bunker in der Stadtmitte kritisiert. Die Unterweltfans monierten damals die „Nacht-und-Nebel-Aktionen“ der Landesregierung. Der kam die öffentliche Aufmerksamkeit für die Ausschachtungsarbeiten der politisch hochbrisanten Ruinen ungelegen. Der Vorschlag der Unterweltaktivisten, den Führer- und den NS-Fahrerbunker öffentlich zugänglich zu machen, fand bei den Zuständigen wenig Gegenliebe.

Die Fanszination der Unterweltler liegt im Widerspruch von Zugänglichsein und Vergrabenbleiben. Die Geschichte der Stadt spiegelt sich unter der Erde getreulich wider. Und angesichts der Fülle von noch nicht erschlossenen Anlagen wie blinden Tunneln, Gewölben und stillgelegten Kellern aller Art bleibt den Freizeitgräbern noch ein weites Betätigungsfeld.

ULRICH HOTTELET