Amalgam doch giftiger als gedacht

Schwedische Regierungsstudie fordert ein EU-weites Verbot von Zahnfüllung aus Amalgam. Das Quecksilber in der Legierung belaste den Körper schon in halb so großen Dosen wie bisher angenommen. Viele müssten mit Nebenwirkungen rechnen

aus Stockholm REINHARD WOLFF

„Die Anwendung von Amalgam sollte in der gesamten EU verboten werden.“ Dies ist das Fazit einer schwedischen Studie. Im Auftrag der schwedischen Regierung hatte Marths Berlin, Professor für Umweltmedizin an der Universität Lund, die verschiedenen Zahnfüllungsmaterialen untersucht. Professor Berlin kommt darin zu dem Schluss, dass viel geringere Mengen Quecksilber im Blut bereits schädlicher sind als bislang angenommen. Amalgam besteht zur Hälfte aus Quecksilber, den Rest der Legierung bilden Silber, Zinn, Kupfer und Zink.

Bisher gingen Mediziner allgemein davon aus, dass keine Gesundheitsschäden zu befürchten seien, solange sich im Urin weniger als 30 bis 50 Millionstel Gramm Quecksilber pro Liter nachweisen lassen. Doch Professor Berlin hält nach der Analyse neuerer Forschungsergebnisse lediglich 10 bis 25 Millionstel Gramm für tolerierbar. Das ist jedoch eine Ausscheidungsrate, die ein Mensch mit mehr als einem Dutzend Amalgamfüllung durchaus erreichen kann.

„Die meisten Menschen haben ja Amalgamfüllungen“, räumt Professor Berlin ein, „und die meisten haben damit auch keine Beschwerden.“ Etwa ein Prozent aller Patienten aber, das zeigten schwedische Studien, sei besonders empfindlich gegen diese geringen Quecksilberwerte, die Hälfte hiervon könne wiederum von Nebenwirkungen geplagt werden.

Auf Deutschland übertragen wären den schwedischen Schätzungen zufolge rund 400.000 Menschen besonders sensibel und könnten – Amalgamfüllungen vorausgesetzt – schon bei niedrigen Werten mit Schäden an Nieren, Nerven oder Immunsystem rechnen.

Außerdem wirke sich Amalgam wachstumshemmend auf Hirnzellen und Föten aus, so die Studie. Daher sollten zumindest Kinder und junge Frauen auf keinen Fall Amalgamfüllungen der Zähne bekommen.

Auch der Umweltmediziner Bengt Järvholm von der nordschwedischen Universität Umeå verlangt eine Überprüfung der bisherigen Grenzwerte. Die Sicherheitsmargen seien vermutlich „geringer als bislang unterstellt“, sagte er der Tageszeitung Dagens Nyheter. Viele Menschen müssten mit Beschwerden rechnen – auf eine Zahl wollte er sich, anders als sein Kollege, nicht festlegen. Es gebe noch sehr große Forschungslücken; das Vorsorgeprinzip lege aber nahe, kein Amalgam mehr zu verwenden.

Vorhandene Füllungen sollte man nach Ansicht von Professor Berlin allerdings nicht entfernen lassen, sofern keine deutlichen vom Amalgam ausgelösten Gesundheitsschäden vorhanden seien. Denn Zähne aufzubohren und eine eventuell erforderliche Wurzelbehandlungen seien für viele Patienten mit höherem Gesundheitsrisiko verbunden, als wenn sie die Füllungen behielten. Plombenträger sollen allerdings darauf achten, dass intensiver Kaugummigenuss zusätzliches Quecksilber freisetzt.

Schwedens Gesundheitsbehörden empfehlen bereits seit 1995, keine Amalgamfüllungen mehr zu verwenden. Seit 1999 werden diese auch nicht mehr von der staatlichen Krankenversicherung bezahlt, sind daher mittlerweile äußerst selten geworden und meist durch keramische oder Plastikfüllungen ersetzt worden. Aufgrund der EU-Gesetzgebung kann Schweden Amalgam nicht im Alleingang verbieten. Weshalb Professor Berlin, der auch schon für die WHO als Quecksilberspezialist gearbeitet hat, nun der Regierung empfiehlt, innerhalb der EU auf ein Verbot hinzuwirken. Außerdem „sollte jeder Arzt bei unklarem Krankheitsbild in Erwägung ziehen, dass Amalgam eine der Ursachen sein könnte“.

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