„AKW-Biblis gleicht Russisch-Roulette“

Strafanzeige gegen Betreibergesellschaft RWE-Power AG. Die meldet unterdessen, AKW sei wieder funktionsfähig

FRANKFURT taz ■ Auf den Kühlturm des erneut in die Kritik geratenen AKWs Biblis Block A projizierten gestern Aktivisten von Greenpeace per Dia: „AKW Biblis – 28 Jahre Russisch-Roulette! RWE, Politiker, TÜV, merkt ihr noch was?“ Seit der Inbetriebnahme des AKWs 1975 ist das Notkühlsystem unzureichend und entspricht nicht der Betriebsgenehmigung, hatte am Freitag der hessische Umweltminister Wilhelm Dietzel (CDU) mitgeteilt. 28 Jahre hatte latent die Gefahr bestanden, dass der Reaktor bei einem Störfall überhitzt, der GAU eintritt. Zur Zeit ist er stillgelegt.

Am 17. April 2003 hatte RWE das hessische Umweltministerium informiert, dass die Ansaugöffnungen der Notkühlpumpen zu klein sind: Ihre Bruttofläche beträgt nur 5,9 statt der vorgeschriebenen 7,3 Quadratmeter. Mögliche Folge: Bei einem Störfall wird das Kühlwasser nicht schnell genug angesaugt. Entgangen war das bisher dem TÜV-Süddeutschland, der das AKW regelmäßig wartete, dem Ökoinstitut in Darmstadt, das Biblis vor allem im Auftrag der rot-grünen hessischen Landesregierungen nach Stör- und Unfällen mehrfach durchleuchtet hatte. Gemerkt haben auch die Experten der Atomaufsicht nichts und schon gar nicht die „Fachleute“ der Betreibergesellschaft RWE Power AG selbst.

Ob die womöglich absichtlich nicht richtig „hingeguckt“ haben, um eine vorzeitige Stilllegung des uralten Meilers zu verhindern, soll jetzt die Staatsanwaltschaft klären: Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) erstattete gestern Strafanzeige gegen die verantwortlichen Mitarbeiter und den Vorstand der RWE Power AG. Auch Greenpeace forderte gestern, umgehend zu klären, „wer für die „Nachlässigkeit“ verantwortlich zeichne.

Der ehemalige Experte des Ökoinstituts und jetzige Vorsitzende der Reaktorsicherheitskommission (RSK) des Bundes, Michael Sailer, nahm dagegen die Aufsichtsbehörde und RWE in Schutz: Man könne nicht alle Details in einem so komplexen System wie einem Atomkraftwerk auf die Übereinstimmung zwischen den Sicherheitsnachweisen und Bauplänen und der Betriebsrealität vergleichen, erklärte er. Doch nach einem Störfall in einem schwedischen AKW 1992 – es kam zu einer Verstopfung in den Ansaugöffnungen der Notkühlpumpen – wurden sie in allen deutschen Atomkraftwerken überprüft. Biblis fiel dennoch nicht auf.

RWE ließ inzwischen verlautbaren, dass das Sicherheitsdefizit durch eine einfache technische Maßnahme behoben worden sei. Das muss nun die hessische Atomaufsicht von Umweltminister Wilhelm Dietzel prüfen. Sei das der Fall, stehe einer Wiederinbetriebnahme des Reaktors nichts mehr im Wege, sagte Dietzel. Nach dem Atomkonsens kann der Reaktor unter Umständen noch bis 2009 Strom liefern. KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT