Die Spielauswertung – ein Gedicht

Der Hobby-Lyriker Gottfried Blumenstein macht sich auf alle Fußballspiele von Energie Cottbus einen Reim. Wie es aussieht, allerdings nur noch bis zum Ende der laufenden Bundesligasaison, denn ein Zweitliga-Poet will er lieber nicht sein

aus Cottbus GUNNAR LEUE

„Wenn’s denkst, ist eh zu spät“, hat Gerd Müller mal gesagt. Ein Satz, straff wie ein Elfmeterschuss, treffend wie eine Grätsche in die Hacken. Überdies einer der besseren Beiträge deutscher Fußballerlyrik. In Sachen hobbyphilosophischer Spielbetrachtung sind die Kicker relativ unbedrängt, denn die großen Dichter und Denker ergötzen sich lieber am Spiel, als es mit ihrer Geisteskraft noch schöner zu reden.

Dass die Dichtkunst durchaus den Fußball zu umkränzen vermag, beweist ein Mann mit dem poetischen Namen Gottfried Blumenstein. Der 51-Jährige, von Berufs wegen Theater- und Musikkritiker (u. a. schrieb er in der DDR eine Janis-Joplin-Biografie), ist Fan von Energie Cottbus und kleidet seine Leidenschaft für den Klub regelmäßig in Reime. Bei jedem Heimspiel ist er live dabei, manchmal auch bei Auswärtsspielen, ansonsten bleibt das Fernsehen. Seit dem Aufstieg der Lausitzer in die erste Bundesliga 2000/01 hat er jedes ihrer Spiele literarisch aufgearbeitet beziehungsweise „bedichtet“, wie Herr Blumenstein sagt. Die Kleinkunstwerke erscheinen in der Regionalzeitung Lausitzer Rundschau. Eine Zeit lang hat sie ein Schauspieler vom Dresdner Staatsschauspiel zudem im MDR-Kulturradio vorgelesen. Auch in der Energie-Kabine hängen sie immer aus.

Die wenigsten werden es sogleich gemerkt haben, aber die Gedichte hatten zunächst eine ganz besondere Form: Es waren Haikus, eine japanische Gedichtform mit 17 Silben, die sich auf exakt drei Zeilen im Verhältnis 5-7-5 verteilen. „Das Problem besteht darin“, so der Schöpfer, „in wenigen Zeilen ein Spiel wiedererkennbar zu machen.“ Dazu kommen beim Haiku auch noch inhaltliche Vorgaben, zum Beispiel muss darin immer die Natur – Wetter, Pflanzen oder Tiere – vorkommen. Keine einfache Sache, denn irgendwann ist der grüne Rasen natürlich auch im Haiku ganz niedergetrampelt vom vielen Gebrauch.

Also erdachte sich Gottfried Blumenstein für die zweite Saison des FC Energie etwas anderes. Angesichts der sensationellen Leistung des Klassenerhalts wollte sich auch der spielbegleitende Dichter höhere Ziele stecken. Fortan wurde die Spielanalyse in Sonette gekleidet, die noch komplizierter als ein Haiku sind. Die Aufstellung der je zwei Vier- und Dreizeiler lautet: 4-4-3-3. Klingt fast wie Fußballtaktik und zeigt tatsächlich manche Parallelen zum Spiel der Fußballer.

„Durch die Reimpaare entwickelt sich oft eine gewisse Eigendynamik“, erklärt Blumenstein die besondere Schwierigkeit mit der Form, „trotzdem soll es ein bisschen locker und spaßig sein.“ Ein Sonett ist sozusagen wie ein Dribbling durch die Abwehr mit anschließendem Hackentrick ins Tor, also eher das Gegenteil der typischen Cottbuser Spielweise. Bevorzugt die doch, um im Bild zu bleiben, die Taktik: „Reim dich, oder ich fress dich!“ Wenngleich die Cottbuser nach der Winterpause zunächst neues belebendes Glück zu verspüren schienen, bevor sich endgültig herauskristallisierte, dass die in dieser Saison gewählte Form der Ballade – ein langes Gedicht, das eine meist tragische Geschichte erzählt – wohl doch tendenziell die richtige Wahl gewesen ist.

„Bei dem Gekicke in dieser Saison hätte ich eigentlich auf die Elegie, den Trauergesang, umstellen müssen“, sagt Blumenstein. So hatte er das nicht erwartet, sondern gleich nach dem ersten Spieltag in der „Energie-Blitz-Ballade Nr. 1 Cottbus 1 – Bayer Leverkusen 1“ die Hoffnung einer ganzen Region in die Worte gehüllt: „Nun, unsre Elf war aufgeweckt / und spielte keineswegs verschreckt. / Wenn ’s Restprogramm nicht eklatant / Der Abstieg ist bereits gebannt?“ Auch Blumenstein ist eben in erster Linie Fan und für die Schönheit des Augenblicks anfällig. Dass der nicht lange verweilte und Cottbus ans Tabellenende strudelte, hat des Dichters Tun nicht leichter gemacht. Die Mannschaft spielte in der Hinrunde oft so schlecht, dass sich da niemand mehr einen Reim drauf machen konnte. Blumenstein aber musste. „Immer nur einen Abgesang zu verfassen ist schwierig. Ob ein Spiel gut oder schlecht ist, beeinflusst mein Schreiben natürlich.“

Große Kunst will er nicht zelebrieren. „Die Leute sollen es lesen, ihren Spaß haben, und nach einer Woche gibt’s ein neues Gedicht. Es ist nichts für die Ewigkeit.“ Nun scheint das Ende seiner Dichterei jedoch recht nah, genau wie Energies Abschied aus der Liga. Nach der Winterpause war noch einmal Hoffnung gekeimt bei Blumenstein, der selber bei den alten Herren von Motor Königswartha kickt. Beflügelt dichtete er nach dem 3:0 in Leverkusen: „Sich unten drin fest eingenistet / Auch wir sind noch nicht losgesprochen / vom Fluch: der nunmehr überlistet? / Wir hoffen nun auf Siegeswochen.“ Und nach dem folgenden 2:1 gegen Bochum hieß es überschwänglich: „Doch wie vom Zaubermund geschnäbelt / Die Jungs von uns sich verlustierten / Und haben Bochum ausgehebelt / Ganz locker wir sie brouillierten.“

Schließlich hatte es auch in der letzten Saison geklappt, als er fleißig Durchhalteparolen in Verse packte. Andererseits sparte er Kritik nicht aus: „Wenn mir etwas nicht gefällt, schreibe ich das auch.“ Wie die Geschichte mit dem St.-Pauli-Nutten-Zitat von Trainer Geyer. Das Gedicht wurde sogar in Paulis Stadionheft abgedruckt. Es könnte auch in einem Buch mit allen Energie-Gedichten erscheinen – so als „schöner Abschluss“ nach dem Abstieg. Sollte es so kommen, wäre mit der Cottbus-Poesie jedenfalls Schluss. Auf seine Dichtkunst müssen die Fußballfans deshalb nicht verzichten. Für den Deutschlandfunk dichtet Blumenstein über die Bundesliga und Länderspiele. Für den MDR Kulturfunk dagegen Polit-Wochenendrückblicke.