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40 Jahre ohne ReueDer Mann, der Benno Ohnesorg erschoss

Kriminalobermeister Kurras tötete Benno Ohnesorg 1967 mit einem Schuss in den Hinterkopf. In einem fragwürdigen Prozess wurde er freigesprochen - und fühlt sich noch heute im Recht.

Am frühen Morgen des 3. Juni 1967 verkündete der Kriminalhauptmeister H. bei einer Besichtigung des Leichnams von Benno Ohnesorg in der Leichenkammer des Krankenhauses Moabit lautstark, in dem Toten einen der "größten Krakeeler" der Anti-Schah-Proteste am Vorabend vor der Oper wiederzuerkennen. Am Vormittag des 2. Juni 2007 ließ der Berliner Polizeipräsident erstmals einen Kranz am Gedenkstein vor der Deutschen Oper niederlegen. Auf der Schleife die Worte: "In stillem Gedenken".

Zwischen diesen beiden Ereignissen liegen genau 40 Jahre. Unbestreitbar ist, dass der Tod Benno Ohnesorgs die politische Entwicklung der Bundesrepublik in den nächsten Jahren erheblich beeinflusst hat. Keine Biografie auch nur eines 68ers lässt sich schreiben oder erzählen, ohne die besondere Bedeutung des 2. Juni 1967 hervorzuheben. Und auch keines der vielen Bücher über die RAF kommt an der Wirkung des Todes von Benno Ohnesorg vorbei. Der große RAF-Spielfilm nach dem Buch von Stefan Aust, der im kommenden Herbst in die Kinos kommen wird, verzichtet ebenfalls nicht auf die aufwändige Darstellung der Ereignisse vor der Deutschen Oper Berlin und in der Krummen Straße. An drei Tagen waren dort Anfang August über 800 Komparsen im Einsatz.

Auf längere Sicht noch verheerender für den weiteren Gang der Ereignisse war möglicherweise der Freispruch der 14. Großen Strafkammer für den Polizeibeamten Karl-Heinz Kurras. Stellvertretend Friederike Dollinger, die ihre Handtasche unter den Kopf des tödlich getroffenen Ohnesorg legte: "Ich denke, es war nicht allein der 2. Juni. Sondern es war vor allem der Ausgang des Prozesses, also dass der Kurras freigesprochen worden ist. Das hat einem den letzten Rest an Glauben in den Rechtsstaat genommen."

Dieser Freispruch jährt sich heute zum 40. Mal. Früh sorgte man sich im Berliner Polizeipräsidium um den Ausgang des Prozesses. In einem Vermerk vom 14. August 1967 heißt es: "Am 23. 9. 1967 findet im Ortsteil Nikolassee, Stahnsdorfer Damm, eine Besprechung zwischen Vertretern der Polizei und RA Roos (Verteidiger von KOM Kurras) statt. Bei dieser Gelegenheit sollen die Geräusche vor der Oper vom 2. 6. 1967 rekonstruiert werden. S (d. h. die Schutzpolizei - d. V.) wird gebeten, die aufgezeichneten Tonaufnahmen und ein leeres Tonband zur Aufnahme der rekonstruierten Geräusche zur Verfügung zu stellen. W-J (POM D.) erhielt Kenntnis und stellt eine Kopie der Tonaufnahme (handschriftlich hinzugefügt: "liegt im Pz-Schrank") her. Von S 1b werden das Tonbandgerät und ein leeres Tonband zur Verfügung gestellt." Die Eigenwerbung der Berliner Polizei lautete über Jahrzehnte: "Die Polizei, dein Freund und Helfer." Als ob es das Selbstverständlichste der Welt wäre, werden hier Beweise aus dem polizeilichen Panzerschrank dem Anwalt des Angeklagten zur Verfügung gestellt, möglicherweise manipuliert und das gemeinsame Vorgehen abgesprochen.

Schon im Vorfeld der Ermittlungen waren von der Polizei mehrere Zeugenaussagen entsorgt worden, wie etwa die eines 9-jährigen Jungen, der den Schuss auf Benno Ohnesorg vom Küchenfenster der elterlichen Wohnung genau beobachtet hatte. Die vernehmende Beamtin entsorgte dessen sicherlich altersgemäße, aber dennoch präzise Aussage mit dem Vermerk, dass der Junge "seine Angaben in recht kindlicher Form" machte und "auch geistig nicht altersgemäß entwickelt zu sein" schien.

Der 26-jährige Zeuge Edelbert W. befand sich zum Zeitpunkt der Schussabgabe im Hof des Hauses Krumme Str. 66/67. Wie viele andere, wie auch Benno Ohnesorg, versuchte er, dort irgendwie herauszukommen, als die Polizeikräfte auf alles einschlugen, was ihr vor die Knüppel kam. Aus seiner Aussage: "Ich machte eine Wendung in Richtung auf den südlichen Ausgang des Grundstücks in Richtung Krumme Straße. Als ich etwa 3 m gelaufen war, hörte ich den Ruf einer männlichen Person 'Schießen'. Der Ruf war deutlich. Ich fasste diesen Ruf als Warnung eines Demonstranten etwa mit der Deutung 'Achtung, die schießen!' [auf]. Ich vermutete, dass mit den Schießenden die Polizisten gemeint waren. Der Ruf kam meines Erachtens von der südöstlichen Seite des Grünstreifens. Ich hielt im Lauf ein, und ich drehte mich voll etwa in Richtung des vermeintlichen Rufers um. In diesem Moment sah ich etwa in Hüfthöhe etwas aufblitzen, das ich für ein Mündungsfeuer hielt und noch halte."

Hat jemand ein Kommando ("Schießen!") gegeben, als Ohnesorg bereits von drei Polizisten festgehalten wurde? Und sah Ohnesorg die Waffe, die auf ihn gerichtet war? Und rief deshalb "bitte nicht schießen", wie mehrere Zeugen aussagten?

Auch Edelbert W. wurde vom Gericht nicht angehört. Noch schwerwiegender war aber die Weigerung des Gerichts, sich die Aufnahme eines Tonmeisters des SDR anzuhören - man habe dafür keine Zeit mehr. Doch hätte man mit Hilfe dieses Tonbandes nicht nur eindeutig feststellen können, dass Kurras tatsächlich nur ein Mal geschossen hatte; man hätte auch, nach dem Schuss, den Ruf einer männlichen Stimme hören können: "Kurras, gleich nach hinten! Los! Schnell weg!" Wollte das Gericht vermeiden, dass die Stimme des Rufers, aller Wahrscheinlichkeit nach eines Vorgesetzten von Kurras, im Gerichtsaal hätte erkannt werden können? Diese Beweisunterdrückung "aus Zeitmangel" führte zur Revision durch den Bundesgerichtshof, der im Übrigen den Tod Ohnesorgs als logische Folge einer fehlerhaften Polizeitaktik ansah.

Mehr Zeit hatte man stattdessen für eine offensichtliche Falschaussage einer Ehefrau eines Polizisten, die aus einem Fenster ihrer Wohnung die Umstände der Schussabgabe gesehen haben will und sich erst kurz vor Ende des Prozesses dem Gericht zur Verfügung stellte. Wort für Wort bestätigte sie die Darstellung von Kurras, der übrigens Beamter der "Politischen Polizei" war und Zivil trug. Zweifelnd fragt der Richter diese Ehefrau eines Verkehrspolizisten, warum sie diese Aussage nicht schon bei einer routinemäßigen Vernehmung der Bewohner des Hauses gemacht habe. Dazu sei sie nicht befragt worden, verteidigt sie sich. Der Kriminalbeamte wird sofort herbeitelefoniert. Dies sei vollkommen unmöglich, da er die Mieter ja gerade deshalb befragt habe, um die Umstände der Abgabe des tödlichen Schusses aufzuklären. "Auch diese Zeugin leistet einen Eid, an dem ein Fragezeichen hängt", stellte der Abend in seiner Gerichtsberichterstattung fest.

Es war die Berliner Staatsanwaltschaft, die auch die Ladung jener Polizisten verhinderte, die Benno Ohnesorg "fest im Griff" gehalten hatten, als er von Kurras seitlich hinter dem rechten Ohr getroffen wurde. Gerade als der ermittelnde Kripo-Beamte diese Polizisten vernehmen wollte, zog die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit sofortiger Wirkung an sich.

Von vornherein wurde gegen Kurras lediglich wegen "fahrlässiger Tötung" verhandelt. Der Angeklagte wurde freigesprochen, obwohl die Beweisaufnahme eindeutig ergeben hatte, dass er Ohnesorg getötet hatte, diese Tötung rechtswidrig war und eine Notwehrsituation, auch putative Notwehr, zweifelsfrei auszuschließen ist. Kurras habe Ohnesorg nicht verletzen oder töten wollen. Daher käme nur fahrlässige Tötung in Betracht, doch müsse dem Angeklagten nachgewiesen werden, was er falsch gemacht habe und ob es ihm subjektiv möglich und zumutbar gewesen wäre, diesen Fehler zu vermeiden. "Es lässt sich nicht ausschließen, dass es sich beim Abdrücken der Pistole um ein ungesteuertes, nicht vom Willen beherrschtes Fehlverhalten des Angeklagten gehandelt hat." Der Richter, der diesen Satz in das Urteil schrieb, wird sicher eine Aussage von Kurras gegenüber dem Stern-Reporter Heiko Gebhardt vom Juni 1967 gekannt haben: "Wenn ich gezielt geschossen hätte, wie es meine Pflicht gewesen wäre, wären mindestens 18 Mann tot gewesen."

Kurras lebt heute in einem in die Jahre gekommenen Neubaublock in Berlin-Spandau. In wenigen Tagen wird er 80 Jahre alt. Der Tod Ohnesorgs belaste ihn nicht, wie auch ein Richter, der jemand zum Tode verurteilt habe, doch wohl ruhig schlafen könne. Heutige Polizisten würden viel zu selten von der Schusswaffe Gebrauch machen. Einen Fehler könne er nicht erkennen. "Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus. Feierabend. So is das zu sehen."

Die Revisionsverhandlung gegen Kurras ein Jahr später platzte, als der Anwalt der Nebenklägerin, Horst Mahler, einen vollkommen sachfremden Streit vom Zaun brach: Er weigerte sich plötzlich, vor dem Gericht in seiner Robe zu erscheinen. Die dritte Verhandlung, in der Kurras keinerlei Aussagen mehr machte außer der, dass ihm der Tod Ohnesorgs sehr nahe gegangen sei, führte 1971 erneut zu einem Freispruch. All die Jahre war Kurras vom Polizeidienst suspendiert. Die freie Zeit füllt er mit Nebentätigkeiten als Wachmann und Kaufhausdetektiv. Mahler hatte sich mittlerweile aus seinem bürgerlichem Leben verabschiedet - in Richtung RAF.

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